Das Experiment
Erdgeschoß lief Gloria erregt auf und ab, wie eine Katze vor einem Mäuseloch. Unglücklicherweise entdeckte sie Kim, sie stieß einen kreischenden Laut aus und rannte die Treppe hinauf.
Kim machte kehrt und floh den Korridor hinunter so schnell sie konnte. Sie rannte in den Hauptflügel zurück, als sie hinter sich ein Krachen und dann einen wilden Aufschrei hörte – das war vermutlich Gloria, die an die Werkbank gestoßen war.
Kim stieg vorsichtig die Freitreppe hinunter und preßte sich an die Wand, um von unten nicht gesehen werden zu können. Nachdem sie den Treppenabsatz erreicht hatte, schob sie sich langsam vor und stellte erleichtert fest, daß niemand in der Halle war.
Nach einem tiefen Atemzug ging sie die letzte Treppe hinunter und humpelte dann unten so schnell es ging zur Eingangshalle. Etwa drei Meter von ihrem Ziel entfernt hielt sie inne. Zu ihrem Entsetzen schlich dort am Ende der Halle Eleanor hin und her, als bewache sie den Haupteingang. Sie bewegte sich genauso wie Gloria vorher am Absatz der Treppe zum Gästeflügel, sah aber Kim im Gegensatz zu Gloria nicht.
Kim trat schnell zur Seite, um aus Eleanors Blickwinkel zu kommen, bemerkte im gleichen Augenblick, daß jemand hinter ihr die Treppe herunterkam und jeden Augenblick den Treppenabsatz erreichen würde.
Ohne nachzudenken, humpelte sie quer durch den Raum und zwängte sich in eine kleine Gästetoilette unter der Treppe. Bemüht, möglichst wenig Geräusch zu erzeugen, schloß sie die Tür hinter sich und sperrte ab. Im gleichen Augenblick hörte sie auf der Treppe unmittelbar über sich Schritte.
Kim versuchte ihre Atemzüge zu dämpfen und lauschte auf die die Treppe herunterkommenden Schritte, bis der dicke Teppich sie verschluckte, der den Marmorboden im großen Saal bedeckte.
Kim hatte Angst. Zugleich machte sie sich Sorgen wegen ihres Knies, und zu allem Überfluß war sie durchnäßt und fror und zitterte am ganzen Leib.
Im Versuch, die Ereignisse der letzten Tage zu ergründen, überlegte Kim, ob der Zustand, in dem Edward und die anderen sich im Augenblick befanden, möglicherweise jede Nacht eingetreten war. Wenn ja und falls sie das selbst argwöhnten, würde das den deutlichen Stimmungsumschwung im Labor erklären. Entsetzt wurde Kim bewußt, daß nicht ein tollwütiges Tier oder durchgedrehte Teenager, sondern mit hoher Wahrscheinlichkeit die Wissenschaftler für die grausigen Vorkommnisse in der Umgebung verantwortlich waren.
Kim schauderte angeekelt. Für sie bestand kein Zweifel, daß das alles auf Ultra zurückzuführen war. Durch das Präparat waren die Forscher zu solchen »Besessenen« geworden wie einige der »heimgesuchten« Menschen 1692.
Diese Überlegungen ließen Kim wieder hoffen. Wenn ihre Annahme zutraf, würden sie am kommenden Morgen wieder zu ihrem normalen Ich zurückfinden, ganz so wie in alten Horrorfilmen. Kim mußte sich nur bis dahin verstecken.
Sie beugte sich vor, legte die Lötlampe und das Feuerzeug auf den Boden und tastete dann in der Dunkelheit herum, bis sie den Handtuchhalter gefunden hatte. Sie trocknete sich ab, wrang ihr nasses Nachthemd aus und legte sich das Handtuch über die Schultern, um sich ein wenig zu wärmen. Dann setzte sie sich auf den Toilettensitz, um ihr angeschwollenes Knie zu entlasten.
Die Zeit verging. Im Haus war es still geworden. Aber dann war plötzlich das Splittern von Glas zu hören, und Kim zuckte zusammen. Sie hatte gehofft, die Kreaturen hätten die Suche nach ihr aufgegeben, aber das war offenbar nicht der Fall, denn jetzt hörte sie, wie Türen und Schränke geöffnet und wieder zugeschlagen wurden.
Ein paar Minuten später erstarrte sie erneut, als sie wieder jemanden die Treppe herunterkommen hörte. Kim stand auf. Ihr Zittern hatte gelegentlich den Toilettendeckel gegen das Porzellanbecken klirren lassen, und sie wollte nicht, daß das wieder geschah, wenn eines der Horrorgeschöpfe so nahe war.
Und dann wurde Kim in zunehmendem Maße ein anderes Geräusch bewußt, das sie nicht gleich erkannt hatte. Jemand schnüffelte draußen, ähnlich wie Edward das vor zwei Tagen nachts am Schuppen getan hatte. Sie erinnerte sich daran, daß Edward gesagt hatte, das Präparat würde unter anderem auch alle Sinne schärfen. Kim spürte, wie ihr Mund trocken wurde. Wenn Edward neulich nachts ihr Kölnisch hatte riechen können, dann würde er es jetzt auch wahrnehmen.
Wieder hörte Kim das Schnüffeln. Dann rüttelte jemand am Türknopf und versuchte die
Weitere Kostenlose Bücher