Das Experiment
versteht sich von selbst«, sagte Kim.
»Ruf ihn doch gleich an«, schlug Joyce vor. »Während du mit ihm redest, kann ich dir die Nummern von Harris und Stevens raussuchen.«
Joyce erhob sich und verließ das Zimmer. Kim lächelte, als sie sich das Telefon heranholte. Ihre Mutter verblüffte sie immer wieder. Gerade noch hatte sie apathisch und in sich selbst versunken dagehockt, und jetzt war sie putzmunter und stürzte sich voller Energie auf das Projekt ihrer Tochter. Kim wußte genau, worin das Problem ihrer Mutter bestand: Sie hatte nicht genug zu tun. Im Unterschied zu ihren Freundinnen hatte sie sich nie ehrenamtlich in irgendwelchen Wohltätigkeitsverbänden engagiert.
Als Kim das Freizeichen hörte, warf sie einen Blick auf ihre Uhr und überlegte, wie spät es jetzt in London war. Allerdings spielte die Uhrzeit kaum eine Rolle, denn ihr Bruder war ein Nachtmensch und schlief nur wenig. Wenn er die Nächte durcharbeitete, holte er seinen Schlaf tagsüber schubweise nach.
Brian nahm nach dem ersten Klingeln ab. Nachdem sie ein paar Begrüßungsfloskeln ausgetauscht hatten, berichtete Kim ihm von ihrem Plan. Brian war begeistert und ermutigte sie, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Ihm erschien es sehr sinnvoll, daß endlich wieder jemand auf dem riesigen Anwesen wohnen würde. Seine einzigen Bedenken galten der Burg und den antiken Möbeln und Gemälden, die sich in dem alten Haus befanden.
»In der Burg werde ich nichts verändern«, versprach Kim.
»Die können wir uns gemeinsam vornehmen, wenn du aus London zurück bist.«
»Einverstanden«, sagte Brian.
»Wo ist Vater?« wollte Kim abschließend wissen.
»Er wohnt im Ritz«, antwortete Brian.
»Und Grace?«
»Frag lieber nicht«, entgegnete Brian. »Die beiden fliegen am Donnerstag zurück.«
Während sich Kim von ihrem Bruder verabschiedete, kam Joyce zurück und reichte ihr wortlos einen Zettel mit einer Telefonnummer. Kim hatte kaum aufgelegt, da drängte ihre Mutter sie auch schon, die Nummer zu wählen.
»Mit wem soll ich denn sprechen?« fragte Kim, während sie wählte.
»Mit Mark Stevens«, erwiderte Joyce. »Er wartet schon auf deinen Anruf. Ich habe gerade auf der anderen Leitung mit ihm gesprochen, als du mit Brian telefoniert hast.«
Kim ärgerte sich zwar ein wenig darüber, daß ihre Mutter sich schon wieder einmischen mußte, doch sie sagte nichts. Sie wußte ja, daß Joyce es gut meinte. Kim mußte an ihre Schulzeit zurückdenken; damals hatte sie ihre Mutter oft nur mit äußerster Mühe davon abhalten können, auch noch ihre Aufsätze zu verfassen.
Das Gespräch mit Mark Stevens war kurz. Er machte den Vorschlag, sich in einer halben Stunde auf dem Anwesen der Stewarts zu treffen. Er wollte sich das Haus unbedingt ansehen, bevor er etwas zu dem Projekt sagte. Kim hatte nichts dagegen, sich mit dem Architekten zu treffen.
»Falls du das alte Haus wirklich renovieren willst, bist du bei Mark Stevens in guten Händen«, sagte Joyce, nachdem ihre Tochter aufgelegt hatte.
Kim erhob sich. »Dann gehe ich am besten gleich los«, sagte sie.
»Ich bringe dich noch nach draußen«, bot Joyce an.
»Das ist nicht nötig, Mutter«, erwiderte Kim.
»Ich bestehe darauf«, sagte Joyce.
Sie gingen nebeneinander den langen Flur entlang.
»Wenn du mit deinem Vater über das alte Haus reden solltest«, begann Joyce schließlich, »empfehle ich dir, ihn nicht auf Elizabeth anzusprechen. Er würde sich nur ärgern.«
»Wieso sollte er sich darüber ärgern?« fragte Kim gereizt.
»Jetzt reg dich nicht gleich wieder auf«, versuchte Joyce sie zu besänftigen. »Ich versuche doch nur, den Familienfrieden zu wahren.«
»Das ist doch wirklich lächerlich«, fuhr Kim ihre Mutter an. »Ich verstehe gar nichts mehr.«
»Ich weiß auch nur, daß Elizabeth die Tochter eines armen Farmers aus Andover war«, sagte Joyce. »Sie war nicht einmal offizielles Mitglied der Kirchengemeinde.«
»Als ob das heute noch eine Rolle spielen würde«, entgegnete Kim. »Weißt du zum Beispiel, daß damals viele der Geschworenen und sogar einige Richter nur ein paar Monate nach den Hexenprozessen um Verzeihung gebeten haben, weil sie sich darüber klargeworden waren, daß sie unschuldige Menschen an den Galgen gebracht hatten? Ist es nicht völlig idiotisch, daß wir uns noch dreihundert Jahre danach weigern, über sie zu reden? Warum taucht ihr Name eigentlich in keinem der Bücher auf?«
»Weil die Familie offenbar Mittel und Wege gefunden hat, das zu
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