Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Experiment

Das Experiment

Titel: Das Experiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dinah McCall
Vom Netzwerk:
er noch Junggeselle ist? Allerdings nehme ich an, dass Dich das jetzt nicht mehr interessiert.
    Schwester Mary musste grinsen. Ihre protestantische Mutter war noch immer schockiert darüber, dass ihre Tochter nicht nur Katholikin geworden, sondern auch noch ins Kloster gegangen war.
    Es gibt noch eine Neuigkeit, von der Du vermutlich noch nichts weißt. Erinnerst Du Dich noch an die kleine Emily Patterson? Die diesen Jackson-Jungen geheiratet hat und dann nach Seattle gezogen ist? Ihre Mutter lebt noch immer einen Block von uns entfernt, von ihr habe ich es auch erfahren. Es ist so entsetzlich traurig. Stell Dir vor, Emily ist tot. Es tut mir so Leid, Dir das schreiben zu müssen, weil ich mich erinnere, wie Du mit ihr nach der Schule immer bei uns vor dem Haus gespielt hast.
    Vielleicht kannst Du ja für sie beten. Auf jeden Fall heißt es, sie hätte sich umgebracht. Stell Dir das nur vor! Sie ist einfach von einer Brücke ins Wasser gesprungen, ohne an ihren Mann und ihr kleines Kind zu denken. Ehrlich gesagt, kann ich das nur schwer glauben, aber es weiß ja niemand, was mal aus einem Kind wird. Ich hätte schließlich auch nicht gedacht, dass meine eigene und einzige Tochter Nonne werden würde. Nicht, dass das etwas Schlimmes ist, aber erwartet habe ich das nicht. Ich lege Dir einen Ausschnitt aus einer Zeitung aus Seattle bei, in dem etwas über den Vorfall geschrieben steht. Lies es Dir in Ruhe durch. Ruf mich doch mal an, wenn sie Dir das erlauben. Ich denke immer, dass Du hinter diesen dicken Mauern wie im Gefängnis lebst, auch wenn ich sicher bin, dass das nicht der Fall ist. Oder? Du darfst doch telefonieren, wenn Du das möchtest, oder nicht?
    Marys Hände begannen zu zittern. Das war mehr, als sie ertragen konnte. Ohne den Brief bis zum Schluss zu lesen, legte sie ihn zu dem anderen und kniete nieder, um zu beten, während der Verlust ihr zu schaffen machte, den die Freunde und Familien spürten.
    Die Nacht war über Sacred Heart hereingebrochen. Die Vesper war vorüber, und Schwester Mary hatte sich auf ihr Zimmer begeben, den Rest der Post aber noch immer nicht gelesen.
    Sie saß auf ihrem Bett und öffnete die Schublade des kleinen Nachttischs, um die Briefe von ihrem Bruder und ihrer Mutter dort zu deponieren. Als sie die Schublade zuschob, war ihr, als hätte sie symbolisch zwei alte Freundinnen beerdigt. Sie wollte sich daran geben, die anderen Briefe zu lesen, aber ihr Herz war zu schwer, und ihre Stimmung befand sich auf einem Tiefpunkt, als dass sie sich mit ihnen hätte befassen wollen. Dennoch wusste sie, wo sie Erbauung finden konnte. Sie griff nach der Bibel, flüsterte rasch ein Gebet und schlug sie auf, um in den Zeilen der alten Texte Trost zu finden.
    Einige Zeit verging, in der sie sich mit den unerfreulichen Nachrichten hatte abfinden können, als jemand an der Tür klopfte.
    „Herein“, sagte sie leise.
    Die Tür wurde geöffnet. Sie erkannte die Silhouette der Mutter Oberin vor dem Lichtschein des Flurs.
    „Ich habe noch Licht gesehen“, sagte sie. „Bist du krank?“
    Schwester Mary seufzte. „Im Herzen“, sagte sie leise und klappte die Bibel zu.
    „Kann ich helfen?“
    „Beten Sie für die Verlorenen“, antwortete Schwester Mary und dachte an die Seelen der beiden Freundinnen.
    „Leg dich schlafen, mein Kind. Morgen ist ein neuer Tag.“
    Schwester Mary nickte.
    Die alte Nonne zog die Tür zu. Schwester Mary starrte so lange auf den Türknauf, bis ihre Augen zu brennen begannen. Dann machte sie sich für die Nacht fertig. Die Mutter Oberin hat Recht, dachte sie: Morgen
ist
ein neuer Tag.
    In derselben Nacht, St. Louis, Missouri
    Virginia Shapiro drehte den Wasserhahn zu und verließ die Dusche. Sie nahm sich ein Badetuch und drehte sich zu dem Spiegel, der die gesamte Innenseite der Badezimmertür bedeckte. Der Dampf vom heißen Wasser hatte ihn beschlagen lassen, und hier und da waren vereinzelte Rinnsale zu sehen, die sich ihren Weg nach unten bahnten. Sie wollte den Spiegel trockenwischen, aber sie war zu sehr in Eile. Sie wand ein Handtuch wie einen Turban um ihre Haare und nahm sich ein zweites, um sich flüchtig abzutrocknen. Im nächsten Moment eilte sie schon aus dem Badezimmer zum Schrank und ignorierte die Feuchtigkeit auf ihren langen, schlanken Beinen. Die Gene, die ihr zugeteilt worden waren, hatten an ihrem Körper kaum Platz für Fülle gelassen, und obwohl viele Frauen mit ihrer hoch gewachsenen, grazilen Figur hätten tauschen wollen, störte sich

Weitere Kostenlose Bücher