Das Experiment
Fenster zum Himmel, wo sich ein weiteres Gewitter zusammenbraute. Würde dieses Wetter denn nie ein Ende finden?
Da sie dem Schloss allein nicht traute, schob sie einen Stuhl vor die Tür und ließ sich auf ihr Bett fallen. Jetzt aufzubrechen, stand völlig außer Frage. Dieses entsetzliche matte Gefühl, das sie bei jedem Unwetter befiel, machte Autofahren praktisch unmöglich. Die Gefahr, in der sie schwebte, war schon groß genug, da war es nicht nötig, den Wagen zu Schrott zu fahren.
Sie wollte weinen, doch stattdessen rollte sie sich auf dem Bett zusammen. Sie starrte auf die Tür, während sie am ganzen Leib zitterte. Für den Augenblick musste sie hier bleiben, ob es ihr gefiel oder nicht.
Etwas später begann es zu regnen. Nicht so schlimm wie in der Nacht zuvor, aber so beständig, dass der Tallahatchie in erschreckendem Maß anstieg.
Sully hielt vor der Rezeption des Tallahatchie River Landing an und stellte den Motor ab. Erst jetzt fiel ihm auf, wie eisern er das Lenkrad umklammert hatte. Seine Finger waren verkrampft, ebenso seine Beine, aber wenigstens war er hier. Obwohl es bereits dunkel war, konnte er vor einer der entfernt liegenden Hütten die Umrisse eines Wagens ausmachen. Er stieg aus und lief mit eingezogenem Kopf zum ersten Gebäude. Er schlug gegen die Tür, wartete eine Minute im strömenden Regen, dann schlug er noch nachdrücklicher gegen die Tür. Drinnen wurde das Licht angemacht, und ein Bär von einem Mann kam, um ihm aufzuschließen. Sobald die Tür weit genug geöffnet war, stürmte Sully unaufgefordert hinein.
„Marshall Auger ist mein Name“, sagte der alte Mann. „Sie sind spät dran, nicht?“
„Der Regen hat mich aufgehalten“, antwortete Sully. „Ich brauche ein Zimmer.“
„Allein?“ fragte Marshall und blickte über Sullys Schulter in die Dunkelheit.
„Ja.“
„Kostet mehr, wenn jemand mit dabei ist“, schob Marshall nach.
„Ich sagte, ich bin allein“, erwiderte Sully. „Sie können es gerne nachprüfen, der Wagen ist offen.“
Marshall warf einen Blick auf den Dauerregen, dann sah er sich Sully an, dem das Wasser aus den Haaren über das Gesicht lief, und schließlich zuckte er mit den Schultern.
„Macht fünfundzwanzig plus Steuer.“
Sully legte einen Hunderter auf die Theke.
„Wie lange bleiben Sie?“
„Das werde ich Ihnen noch sagen“, erwiderte Sully.
Marshall steckte das Geld ein und gab ihm einen Schlüssel.
„Welche Hütte ist das?“ fragte Sully.
„Von hier aus die dritte“, brummte Marshall.
„Ich hätte gern die letzte Hütte“, sagte Sully und reichte dem Mann den Schlüssel zurück.
„Schon weg. Die daneben?“
„Ja, auch gut“, meinte Sully. „Solange ich keine Familie mit einem Rudel Kinder neben mir habe.“
„Nee, nur ‘ne Frau. Sehr ruhig.“
Ha! Da habe ich die Antwort und musste nicht mal fragen.
„Sehr gut“, sagte Sully und nahm den anderen Schlüssel an sich, den der Mann ihm hinhielt.
„Fernsehen und Telefon gibts in den Hütten nicht“, fügte Marshall an. „Das hier ist ein Camp für Angler. Wenn Sie was anderes erwartet haben, dann haben Sie Pech.“
„Ich brauche nur etwas, wo ich schlafen kann“, entgegnete Sully.
„Träumen Sie was Schönes“, sagte Marshall und bleckte seine gelblichen Zähne, als er ihn breit angrinste.
Sully rannte zum Wagen zurück und fuhr an den Hütten entlang, hielt aber nicht an der, die Marshall ihm gegeben hatte, sondern blieb erst hinter dem anderen Wagen stehen. Ein kurzer Blick auf das Kennzeichen verriet ihm, dass er Virginia gefunden hatte.
Er wollte aussteigen, zögerte dann aber. Durch die Fenster drang kein Licht, und wahrscheinlich schlief sie längst. Sollte er sie jetzt wecken und dabei riskieren, ihr noch mehr Angst einzujagen, oder sollte er bis zum Morgen warten? Sein Instinkt sagte ihm, sofort zu handeln. Zu viele Menschen hatten schon sterben müssen, da konnte er keine Rücksicht auf Anstandsregeln nehmen.
Auf dem Weg zur Tür dachte er an das Foto, auf dem sie mit ihren Eltern zu sehen war. Fröhlich lachend. Er ballte die Hand zur Faust und schlug kräftig gegen die Tür.
Ginny war augenblicklich hellwach und drückte das Laken an sich, während sie aufrecht im Bett saß. Jemand schlug gegen die Tür! Sie bewegte sich nicht, während ihr Herz raste. Vielleicht hatte sich jemand geirrt und ging gleich weiter.
Tatsächlich kehrte Ruhe ein, aber die Hoffnung, die in ihr aufkam, wurde sofort zunichte gemacht, als wieder geklopft
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