Das fahle Pferd
rief Mrs Oliver an.
»Hallo – hier Mark Easterbrook.«
»Ja…?«
»Mrs Oliver, können Sie mir den Namen des Mädchens sagen, das auf diesem Fest bei Rhoda war?«
»Ich denke wohl – lassen Sie mich überlegen. Ja, natürlich: Ginger hieß sie.«
»Das weiß ich selbst. Aber ich meine den anderen Namen.«
»Welchen Namen denn?«
»Ich bezweifle, dass sie Ginger getauft wurde. Und außerdem muss sie doch einen Nachnamen haben.«
»Ach – natürlich! Aber den kenne ich nicht, sie wurde ja immer nur Ginger genannt. Und außerdem habe ich sie erst bei Rhoda kennen gelernt.« Eine kurze Pause entstand; dann schlug Mrs Oliver vor: »Fragen Sie doch Rhoda selbst.«
Diesen Gedanken hatte ich natürlich auch schon gehabt – aber er sagte mir nicht zu. Mir war irgendwie unbehaglich dabei.
»Nein, das kann ich nicht«, sagte ich daher.
»Unsinn. Das ist doch lächerlich einfach«, erklärte Mrs Oliver ermutigend. »Sagen Sie bloß, Sie hätten ihre Adresse verloren oder könnten sich nicht mehr daran erinnern – und Sie hätten versprochen, ihr ein Buch zu schicken… oder den Namen eines Geschäfts, in dem man billig Kaviar kaufen kann… oder Sie müssten ihr ein Taschentuch zurückgeben, das sie Ihnen geliehen hat, als Sie Nasenbluten hatten… oder die Adresse eines reichen Freundes, der ein Bild restaurieren lassen möchte. Genügt eine dieser Begründungen?«
»Danke, das genügt vollkommen«, versicherte ich.
Ich legte den Hörer auf – nur, um gleich darauf Rhodas Nummer zu wählen.
»Ginger?«, lachte Rhoda. »Oh, natürlich. Calgary Place fünfundvierzig. Warte, ich kann dir ihre Telefonnummer geben.« Sie entfernte sich und kehrte kurz darauf wieder zurück. »Capricorn 3 59 87. Hast du es notiert?«
»Ja, besten Dank. Aber ich brauche auch ihren Namen – den richtigen, meine ich. Ich habe ihn nie gehört.«
»Oh, ihr Nachname? Sie heißt Corrigan, Katherine Corrigan. – Was sagtest du eben?«
»Nichts. Vielen Dank, Rhoda.«
Das war ein seltsames Zusammentreffen. Corrigan! Zweimal Corrigan. Vielleicht war es ein Omen.
Ich wählte Capricorn 3 59 87.
22
G inger saß mir gegenüber an einem Tischchen im »White Cockatoo«, wo wir uns getroffen hatten. Sie sah erfreulicherweise genauso aus wie auf Rhodas Fest – ein wilder roter Haarschopf, vergnügte Sommersprossen und lebhafte graue Augen. Sie trug ihre Londoner Arbeitstracht: enge lange Hosen, einen saloppen Pullover und schwarze Strümpfe – aber im Übrigen war es noch die gleiche Ginger. Sie gefiel mir sehr gut.
»Ich hatte allerhand Mühe, Sie ausfindig zu machen«, lachte ich. »Ihr richtiger Name, Ihre Adresse, Ihre Telefonnummer… nichts wusste ich. Es war geradezu ein Problem für mich.«
»Das sagt meine Aushilfe auch immer. Und dann bedeutet es meistens, dass ich ihr irgendetwas kaufen muss, eine neue Bürste oder eine Tasse, die sie zerbrochen hat.«
»Ich will Sie nicht dazu veranlassen, etwas zu kaufen«, versicherte ich.
Und dann erzählte ich ihr die ganze Geschichte. Ich brauchte nicht so lange Zeit dafür wie bei Hermia, weil sie »Das fahle Pferd« und seine Bewohnerinnen ja bereits kannte. Als ich fertig war, wagte ich nicht sie anzuschauen. Ich wollte ihre Reaktion nicht sehen – nicht ihr spöttisches Lächeln oder ihren deutlichen Unglauben. Das alles musste ja wirklich unsinnig klingen. Niemand – außer Mrs Calthrop – konnte darüber so empfinden wie ich. Mit meiner Gabel zeichnete ich Bilder auf das Tischtuch. Gingers Stimme klang frisch, als sie fragte: »Ist das alles?«
»Ja, das ist alles«, musste ich zugeben.
»Was wollen Sie jetzt unternehmen?«
»Sie meinen… Sie meinen wirklich, ich sollte etwas tun?«
»Aber selbstverständlich! Jemand muss damit beginnen. Man kann doch nicht eine ganze Organisation bestehen lassen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Leute um die Ecke zu bringen… und nichts dagegen tun.«
Ich hätte ihr um den Hals fallen mögen für diese Antwort.
»Womit kann ich denn beginnen?«
Sie nippte an ihrem Pernod und furchte die Stirn. Eine warme Welle des Glücks überflutete mich – ich war nicht mehr allein.
Nachdenklich meinte sie: »Sie müssen herausfinden, was das alles zu bedeuten hat.«
»Einverstanden – aber wie?«
»Mir scheinen zwei Hinweise vorhanden. Vielleicht kann ich Ihnen helfen.«
»Würden Sie das wirklich tun? Und Ihre Arbeit?«
»Oh, daneben habe ich noch viel Zeit.« Wieder runzelte sie nachdenklich die Stirn.
»Dieses Mädchen, das Sie
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