Das fahle Pferd
auch graue… oder braune. Grauer Mantel… kann auch sein, dass er dunkelblau war.‹ Was sollen wir mit solchen Aussagen machen?«
Mr Osborne lachte.
»Dergleichen kann Ihnen allerdings nicht viel weiterhelfen.«
»Ehrlich gesagt: Ein Zeuge wie Sie wäre ein wahres Gottesgeschenk.«
Mr Osborne sah sehr erfreut aus. »Ich bin auch ein ganz guter Taschenspieler. Zu Weihnachten zeige ich meine Kunststücke manchmal im Kinderheim; das macht den Kleinen immer viel Spaß. – Entschuldigen Sie, Mr Lejeune… was haben Sie denn da in Ihrer Brusttasche?«
Er lehnte sich vor und zog einen kleinen Aschenbecher aus der Tasche des Inspektors.
»Aber, aber, mein Herr! Und ausgerechnet Sie sind bei der Polizei!«
Er lachte herzlich und Lejeune stimmte ein. Dann aber seufzte Mr Osborne.
»Ich habe hier ein wirklich hübsches kleines Häuschen gefunden, Sir. Die Nachbarn scheinen alle nett und freundlich… genau das, was ich mir seit Jahren erträumte. Aber ich muss Ihnen gestehen, dass mir jetzt auf einmal der gewohnte Betrieb fehlt. Im Geschäft war doch ein ständiges Kommen und Gehen und man konnte die Menschen studieren. Ich habe mich so danach gesehnt, meinen eigenen Garten zu besitzen, und ich habe auch noch andere Interessen. Schmetterlinge zum Beispiel, wie ich Ihnen schon sagte, und das Beobachten der Vögel. Niemals hätte ich gedacht, dass mir das menschliche Element so abgehen würde.
Ich wollte auch kleinere Reisen machen. Nun, letztes Wochenende bin ich nach Frankreich gefahren – ganz hübsch, muss ich zugeben, aber England ist doch viel, viel besser! Und diese fremdländische Küche hat mir gar nicht zugesagt – so viel ich sehen konnte, wissen die Leute dort nicht einmal, wie man Speck mit Eiern macht. Ich bitte Sie!«
Er seufzte wieder.
»Das zeigt nur, wie die menschliche Natur beschaffen ist. Immer habe ich auf den Moment gewartet, da ich mich vom Geschäft zurückziehen konnte. Und nun…? Wissen Sie, dass ich tatsächlich mit dem Gedanken spiele, mich hier in Bournemouth wieder finanziell an einer Apotheke zu beteiligen? Oh, es sollte nicht meine ganze Zeit beanspruchen – ich möchte nur von Zeit zu Zeit hingehen können, um mich sozusagen ›im Betrieb‹ zu fühlen. Ich vermute, es wird Ihnen später einmal genauso gehen, Inspektor. Sie machen Zukunftspläne – aber wenn die Zeit kommt, sehnen Sie sich nach den Aufregungen Ihres Berufs zurück.«
Lejeune lächelte.
»Der Beruf eines Polizisten ist nicht so romantisch und aufregend, wie Sie glauben, Mr Osborne. Sie sehen das mit den Augen des Außenstehenden. Aber der Großteil unserer Arbeit ist höchst eintönig. Wir sind nicht immer auf der Jagd nach großen Verbrechern und geheimnisvollen Spuren. Auch unser Geschäft kann recht langweilig sein.«
Mr Osborne schien nicht überzeugt.
»Nun, Sie müssen es wohl am besten wissen, Mr Lejeune«, meinte er. »Leben Sie wohl – und es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen nicht besser helfen konnte. Aber wenn etwas Neues auftauchen sollte…«
»Ich werde es Sie wissen lassen«, versprach Lejeune.
»Dieses Fest erschien mir so viel versprechend«, murmelte Mr Osborne betrübt.
»Ich verstehe Sie. Schade, dass ein medizinisches Gutachten von Sir William Dugdale praktisch unanfechtbar ist.«
»Nun…« Mr Osborne ließ das Wort in der Luft hängen, doch der Inspektor achtete nicht darauf. Er ging mit leichten Schritten davon, während der Apotheker in der Gartentür stand und ihm nachschaute.
»Medizinische Gutachten«, murmelte er,»… und Ärzte. Ha! Wenn er so viel über Ärzte wüsste wie ich… Unfähig sind sie, alle miteinander.«
21
Z uerst Hermia – und nun Jim Corrigan.
Schön – dann machte ich mich also in ihren Augen lächerlich.
Ich nahm demnach dummes Geschwätz und Blödsinn für bare Münze. Ich war ein einfältiger, abergläubischer Idiot.
Zornig nahm ich mir vor, diese ganze verdammte Geschichte aufzugeben. Was ging sie mich denn überhaupt an? Aber durch alle Selbstkrittelei hindurch hörte ich wieder die Stimme von Mrs Dane Calthrop: »Sie müssen etwas tun! Die Sache ist schlimm – sehr schlimm. Was auch dahinter stecken mag… es muss verhindert werden. Und Sie dürfen keine Zeit dabei verlieren.«
Ja, das war leicht gesagt.
»Haben Sie keinen Freund, der Ihnen helfen könnte?«
Ich hatte Hermia gebeten und dann Corrigan. Keiner von beiden wollte mitmachen. Und sonst wusste ich niemanden. Oder doch…?
Kurz entschlossen ging ich zum Telefon und
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