Das fahle Pferd
nicht. Ich wollte damit sagen: Warum gerade Ihnen? Vielleicht gibt es da eine Verbindung.«
»Zu was?«
»Haben Sie einen Augenblick Geduld – ich muss meine Gedanken erst ordnen.«
Ich wartete. Ginger nickte zweimal höchst nachdrücklich, ehe sie zu sprechen begann: »Nehmen wir einmal an, es verhielte sich folgendermaßen: Das Mädchen Poppy weiß auf irgendeine Weise über ›Das fahle Pferd‹ Bescheid, vielleicht gar nicht aus eigener Erfahrung, sondern vom Hörensagen. Sie scheint zu jener Kategorie von Mädchen zu gehören, vor denen man sich beim Reden nicht in Acht nimmt, die aber viel mehr mitkriegen, als man allgemein glaubt. Das ist oft so bei besonders dummen Menschen. Vielleicht hat jemand gehört, wie sie mit Ihnen darüber sprach, und hat ihr daraufhin befohlen, den Mund zu halten. Am nächsten Tag kommen Sie ins Geschäft und wollen Poppy ausfragen… natürlich ist sie viel zu verstört, um darauf einzugehen. Aber sie erzählt dem Betreffenden davon. Nun, was müssen sich die Leute dabei denken? Da Sie nicht von der Polizei sind, nimmt man das Nächstliegende an, nämlich. Sie könnten möglicherweise ein Kunde werden.«
»Aber das ist doch…«
»Das ist vollkommen logisch. Sie haben irgendwelche Gerüchte gehört und jetzt wollen Sie sich näher erkundigen – für Ihre eigenen Zwecke. Gleich darauf erscheinen Sie bei diesem Fest in Much Deeping. Man führt Sie sogar bei den Besitzerinnen des ›Fahlen Pferdes‹ ein – natürlich, weil Sie darum gebeten haben. Und was geschieht? Prompt beginnt Thyrza vom Geschäft zu sprechen.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, gab ich zu. »Glauben Sie wirklich an diese Macht, die sie zu besitzen vorgibt, Ginger?«
»Spontan würde ich sagen, es sei ausgeschlossen. Aber es gibt nun einmal seltsame Dinge, besonders auf dem Gebiet des Hypnotismus. Da wird zum Beispiel einem Menschen befohlen, er müsse am nächsten Nachmittag um vier Uhr bei einem Bekannten eine Kerze aus dem Leuchter nehmen… und er geht hin und tut es, ohne zu wissen, warum. Man ist natürlich versucht zu sagen, das alles sei Humbug. Aber möglicherweise steckt doch etwas dahinter. Und was nun diese Thyrza betrifft – ich glaube nicht, dass es wahr ist, aber ich befürchte, es könnte doch sein.«
»Ja«, meinte ich düster, »das sind ganz genau meine eigenen Empfindungen.«
»Ich werde mich ein wenig mit dieser Lou beschäftigen: Ich kenne verschiedene Lokale, in denen sie aufzutauchen pflegt. Aber das Erste und Wichtigste ist, mit Poppy Verbindung aufzunehmen.«
Das war nicht weiter schwierig. David war an einem der nächsten Abende frei; wir beschlossen zusammen eine Kabarettvorstellung zu besuchen und er erschien verabredungsgemäß mit Poppy im Schlepptau. Anschließend gingen wir alle zusammen ins »Fantasia« zum Essen. Mir fiel auf, dass Poppy und Ginger längere Zeit im Waschraum verschwunden waren und sich nachher anscheinend bestens verstanden. Wie Ginger geraten hatte, führten wir nur belanglose Gespräche. Schließlich trennten wir uns, und ich fuhr Ginger nachhause.
»Ich habe noch nicht viel zu berichten«, erklärte sie vergnügt. »Ich habe mich mit Lou beschäftigt. Der Bursche, um den der Streit losging, heißt Gene Pleydon – ein widerlicher Laffe, sehr auf Geld erpicht. Aber die Mädchen sind alle wie wild hinter ihm her. Er hatte sich ziemlich viel mit Lou abgegeben und auf einmal erschien Tommy auf dem Plan. Lou behauptet, er habe sich gar nichts aus ihr gemacht, sondern sei nur scharf auf ihr Geld gewesen. Wie dem auch sei – jedenfalls hat er Lou wie eine heiße Kartoffel fallen lassen und sie war natürlich wütend. Nach ihrer Angabe hatte sie übrigens mit Tommy keinen ernsthaften Streit, sondern nur eine leichte Plänkelei.«
»Na, ich danke! Sie riss ihr ja buchstäblich die Haare mit der Wurzel aus.«
Ginger zuckte die Achseln. »Ich wiederhole nur, was Lou gesagt hat.«
»Sie scheint jedenfalls ziemlich offenherzig gewesen zu sein.«
»Oh, diese Mädchen schwatzen über die intimsten Dinge mit jedem, der es hören will. Jedenfalls hat Lou bereits einen anderen Freund – meiner Meinung nach wieder eine richtige Niete, aber sie ist ganz verrückt nach ihm. Ich glaube daher kaum, dass sie eine Besucherin des ›Fahlen Pferdes‹ gewesen ist. Ich habe das Thema aufgegriffen, aber sie hat gar nicht reagiert. Mir scheint, wir können sie von unserer Liste streichen. Auch der Wirt des italienischen Lokals, in dem Sie damals waren, hält den Streit
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