Das fahle Pferd
immer noch nicht«, erklärte Ginger ungeduldig. »Für sie war das, was sie mir erzählte, einfach ein Nichts – viel zu unbedeutend, um darüber auch nur eine Sekunde nachzudenken. Und schließlich dürfen wir nicht vergessen, Mark, dass auch dieses Geschäft Reklame braucht. Die Leute müssen doch immer wieder neue ›Kunden‹ finden.«
»Ginger, das Ganze ist einfach Irrsinn – wir sind verrückt, daran zu glauben!«
»Schön, bleiben wir verrückt. Fahren Sie nach Birmingham, um diesen Mr Bradley aufzusuchen?«
»Ja, ich werde zu ihm gehen… wenn er überhaupt existiert.«
Das bezweifelte ich sehr stark. Aber ich irrte mich. Mr Bradley existierte tatsächlich.
Municipal Square Buildings erwies sich als ein riesiges Bienenhaus mit lauter Büros. Die Nummer 87 befand sich im dritten Stock. Über der Milchglastür stand in großen Lettern: »C. R. Bradley, Agentur.« Und darunter, in kleineren Buchstaben: »Bitte eintreten.«
Das kleine Empfangszimmer war leer, doch eine Tür stand halb offen und von dort erklang eine Stimme: »Bitte treten Sie doch näher.«
Das innere Büro war bedeutend größer, enthielt einen Schreibtisch, ein paar bequeme Sessel, ein Telefon, Aktenregale… und Mr Bradley, der hinter seinem Schreibtisch saß, ein kleiner, dunkelhaariger Mann mit schlauen, verschlagenen Augen. In seinem schwarzen Anzug wirkte er wie die personifizierte Achtbarkeit.
»Würden Sie bitte die Tür schließen?«, bat er. »Und setzen Sie sich. Dieser Sessel ist recht bequem. Zigarette? Nein? Dürfte ich vielleicht erfahren, was Sie zu mir führt?«
Ich sah den Mann an und wusste nicht, wie ich beginnen sollte. Ich hatte mir gar keinen Plan zurechtgelegt. Schließlich war es reine Verzweiflung, die mich die Worte hervorstoßen ließ: »Wie viel verlangen Sie?«
»Nun, nun, nun«, meinte er. »Sie machen ja keine langen Umschweife, das muss man sagen.«
Ich blieb bei der einmal eingeschlagenen Linie.
»Wie lautet Ihre Antwort?«
Leicht vorwurfsvoll schüttelte er den Kopf.
»Auf diese Weise kommen wir nicht weiter. Wir müssen ganz korrekt vorgehen.«
Ich zuckte die Schulter.
»Wie es Ihnen beliebt. Was nennen Sie korrektes Vorgehen?«
»Wir haben uns noch nicht einmal vorgestellt, nicht wahr? Ich kenne nicht einmal Ihren Namen.«
»Hm… im Augenblick ziehe ich das auch vor.«
»Vorsicht?«
»Vorsicht«, nickte ich.
»Eine empfehlenswerte Eigenschaft… Wer hat Sie denn zu mir geschickt? Wie heißt unser gemeinsamer Bekannter?«
»Auch das möchte ich nicht sagen. Ein Freund von mir hat einen Freund, der einen Freund von Ihnen kennt.«
»Auf die Art komme ich oft zu meinen Kunden«, bemerkte er. »Manchmal sind die Probleme der Leute recht… heikel. Ich nehme an, Sie kennen meinen Beruf?«
Er wartete jedoch meine Antwort nicht ab, sondern fuhr sogleich fort: »Turf-Agentur. Sie sind wohl interessiert an… Pferden?«
Nur eine ganz kurze Pause vor dem letzten Wort zeigte mir die Bedeutung des Satzes.
»Ich bin kein Reiter«, gab ich zurück, als ob ich nicht verstünde.
»Oh, man braucht kein Reiter zu sein, um sich mit Pferden zu befassen. Es gibt da verschiedene Möglichkeiten: Rennen, Jagden oder auch die Anschaffung von Karrengäulen. Ich selbst habe dabei nur sportliche Interessen – die Abschlüsse von Wetten.« Er schwieg eine Weile und fuhr dann lässig fort: »Hatten Sie irgendein besonderes Pferd im Auge?«
Jetzt entschloss ich mich, alles auf eine Karte zu setzen: »Ein fahles Pferd …«, murmelte ich.
»Ah, sehr schön – ganz ausgezeichnet. Sie selbst scheinen mir eher ein… dunkles Pferd zu sein, haha! Kein Grund zur Nervosität, Sir, nicht im Geringsten.«
Mr Bradleys Benehmen wurde noch einschmeichelnder und entgegenkommender.
»Ich verstehe Ihre Empfindungen sehr gut«, meinte er Hände reibend. »Aber ich kann Ihnen wirklich versichern, dass jede Ängstlichkeit überflüssig ist. Ich bin selbst Rechtsanwalt – aus den Listen gestrichen natürlich, sonst wäre ich ja nicht hier. Aber ich darf Ihnen versichern, dass ich die Gesetze sehr gut kenne. Was immer ich vorschlage, ist vollkommen legal. Es handelt sich ja auch um nichts anderes als um Wetten. Man kann um alles und jedes Wetten eingehen… ob es morgen regnet, ob es den Russen gelingt, ein bemanntes Raumschiff zum Mond zu schicken, oder ob Ihre Frau Zwillinge zur Welt bringt. Sie können auch wetten, ob Mr B. vor Weihnachten noch stirbt oder ob Mrs C. hundert Jahre alt wird.«
Ich bemerkte langsam:
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