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Das Falsche in mir

Das Falsche in mir

Titel: Das Falsche in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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sieht wesentlich älter und müder aus.
    Aber was viel wichtiger ist: Er kommt mir bekannt vor.
    Birgit hat den beiden auf meine Bitte hin Kaffee gemacht. Als ich in die Küche komme, sitzen sie nebeneinander am kleinen Holztisch vor dem Fenster und nippen an den übergroßen Tassen, die Birgit als Designerstücke bezeichnet und mich an Nachttöpfe erinnern.
    Die Kommissarin stellt sich mit Sina Rastegar vor, ihr Kollege heißt Benedikt Gronberg. Ich schüttle beiden die Hand in dem Bewusstsein, dass meine sorgsam aufgebaute Fassade gerade dabei ist einzustürzen.
    Birgit lehnt in derselben Haltung wie vor drei Tagen am Herd, die Arme verschränkt, die Unterlippe vorgeschoben, als würde sie schmollen. Ihre Haare stehen wirr nach allen Seiten ab, sie hat immer noch ihren Morgenmantel an, und ganz offensichtlich will sie sich auch nicht frisch machen.
    Es gefällt mir, dass sie nicht ängstlich ist. Und das ist mir nur recht. Das Versteckspiel ist zu Ende, und seltsamerweise ist auch die Scham verschwunden, die mich immer daran gehindert hat, offen zu reden. Ich bin jetzt bereit dazu.
    »Wir würden gern mit Ihnen allein sprechen«, sagt die Kommissarin.
    »Das ist nicht nötig«, sage ich ruhig. »Meine Frau weiß Bescheid.«
    Diese Lüge lässt Birgit kurz zusammenzucken, aber sie hat sich sofort wieder in der Gewalt. Auch dafür bewundere ich sie. Ich werfe einen Blick auf die Uhr über der Anrichte, es ist Viertel vor sieben, spätestens in einer halben Stunde müssen wir die Mädchen wecken.
    Bis dahin müssen Rastegar und Gronberg wieder verschwunden sein.
    Eine Viertelstunde später weiß Birgit, dass ich zehn Jahre im Gefängnis gesessen habe, weil ich beschuldigt wurde, meiner damaligen Freundin Marion die Kehle durchgeschnitten und ihr nach ihrem Tod weitere Schnittverletzungen zugefügt zu haben. Sie weiß, dass ich diese Verbrechen gestanden und nur deshalb keine lebenslange Freiheitsstrafe bekommen habe, weil ich zur Tatzeit erst sechzehn war und man in den menschenfreundlichen Siebzigerjahren noch an das Resozialisierungspotenzial von Tätern wie mir geglaubt hatte.
    Birgit hat sich hingesetzt.
    Sie ist sehr blass, und ich habe ihr Kaffee hingestellt, den sie nicht anrührt. Ich gebe ihr stattdessen eine Zigarette und Feuer und zünde mir anschließend selber eine an. Birgit raucht hastig, sagt nichts und meidet meinen Blick. Von ihrer unantastbaren Souveränität, die sie bisher selbst dann ausstrahlte, wenn sie traurig und verzweifelt war, ist nichts mehr übrig.
    Gronberg war einer der jungen Polizisten, die mich damals verhaftet haben. Ich erkenne ihn vage, aber ich erinnere mich jetzt wieder an seinen Namen. Ich nehme an, dass er deshalb mitgekommen ist. Möglicherweise war er auch derjenige, der die Taten miteinander in Verbindung gebracht hat.
    Denn Anne ist tatsächlich tot. Ein Mann aus einem Vorort von Leyden hat sie gestern Abend in seinem Garten entdeckt, wo der Mörder sie abgelegt haben musste – so, dass es unumgänglich war, dass sie jemand fand. Der Fundort war nicht der Tatort. Der Besitzer des Grundstücks hat ein wasserdichtesAlibi, außerdem gibt es in seinem Haus keinerlei Spuren von Anne und auch nicht im restlichen Garten.
    Er war es nicht.
    Aber ich vielleicht?
    Ihr wurde die Kehle durchgeschnitten, und ihr Körper war von vielen weiteren Schnitten verunziert. All das und natürlich ihr Aussehen, ihre zarte Figur und ihre blonden Haare, weisen in meine Richtung, auch wenn der Fall Marion schon mehr als drei Jahrzehnte zurückliegt.
    Sie tun also nur ihre Pflicht.
    Ich sage, dass ich mich am fraglichen Abend im »Jensen« aufgehalten hätte, aber nicht wisse, wie diese Nacht geendet habe.
    »Sie erinnern sich nicht«, sagt Rastegar trocken.
    »So ist es«, antworte ich ganz ruhig.
    Gronberg sieht an mir vorbei.
    Hinter mir hängt ein Poster von einer Picasso-Ausstellung im letzten Jahr, vielleicht betrachtet er es. Es zeigt Picassos leidenschaftliche, von ständiger Eifersucht gequälte Muse Dora Maar im typischen collagenhaft dekonstruierten Picasso-Stil, den man heute beinahe satthat, weil es so viele epigonale Werke gibt.
    »Und daran würde ich mich erinnern«, fahre ich fort, so nüchtern, wie es mir möglich ist. »Ich war sehr betrunken und hatte einen Filmriss. Ich hätte das gar nicht tun können.«
    Niemand begeht so ein Verbrechen in einem derart desolaten Zustand.
    Fast glaube ich mir selbst.
    »Passiert Ihnen das häufiger? Die Sache mit dem Filmriss …?«
    Ich

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