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Das falsche Opfer

Das falsche Opfer

Titel: Das falsche Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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Er kauerte an der
Außenwand des Lagers, als die Koreaner begannen, mit ihren Bajonetten
loszustechen. Stu erzählte recht anschaulich, wie er
eine Weile vor Entsetzen erstarrt zugesehen hatte, wie sie die Toten in einem
Haufen in der Mitte des Lagers aufgestapelt hatten. Dann, später, zwang ihn
sein Selbsterhaltungstrieb, unter diesen Stapel zu kriechen und ein Stoßgebet
zum Himmel zu schicken, daß sie die Leichenpyramide nicht in Brand setzen
würden, nachdem sie fertig waren. Er schilderte, wie er glaubte, den
Benzingeruch durch die über ihm gestapelten Leichen zu riechen, und wie ihm
jedes kleine Geräusch wie das eines angezündeten Streichholzes erschienen war,
das ihn zu Asche verbrennen würde.«
    »Und weil er überlebt hat,
haben Sie ihn erpreßt?« brummte ich.
    »Stimmt«, sagte er grimmig,
»aber aus einem anderen Grund, als Sie annehmen. Ungefähr zwei Wochen nachdem Stu wieder bei unserer Einheit war, wartete in der
Luftbasis ein Infanteriecaptain auf mich, als ich von
einem Routineflug zurückkam. Er war ein sehr netter, ziemlich ausgekochter
Bursche namens Jacobs. Seine Abteilung hatte das Gefangenenlager eingenommen.
Wir tranken ein paar Gläser aus meiner Privatflasche, dann zog er einen
versiegelten Umschlag aus seiner Tasche und gab ihn mir. Die Handschrift kam
mir irgendwie merkwürdig vor, aber der Brief war namentlich an mich als den
Staffelkapitän adressiert. Ich machte irgendeinen abgedroschenen Witz über die
Beförderungsmethode, und dann erzählte er mir, wie er zu dem Brief gekommen
war.
    Sie hatten alle Toten im Lager
nach Erkennungsmarken und etwaigen persönlichen Besitztümern durchsucht, Jacobs
hatte den Brief bei einer der ziemlich weit oben liegenden Leichen gefunden.
Ich wollte ihn öffnen, aber Jacobs sagte, ihm wäre lieber, ich würde damit
warten, bis er gegangen sei. Die Adresse war auf englisch geschrieben, stammte aber eindeutig von einem Koreaner. Und da war noch etwas,
von dem Jacobs dachte, ich sollte es wissen. Jeder einzelne Tote in diesem
Haufen war völlig ausgemergelt — Burschen von eins fünfundachtzig bis eins
siebenundachtzig Größe hatten nicht mehr gewogen als fünfundneunzig Pfund. Sie
alle waren seit langer Zeit auf Hungerration gesetzt worden. Jacobs war bereits
fünf Minuten weg, bevor mir einfiel, daß Stu sich in
den sechs Monaten, die ich ihn nicht gesehen hatte, nicht verändert hatte —
jedenfalls konnte er nicht mehr als ein paar Pfund abgenommen haben.
    Ich öffnete also den Brief, und
er war von einem chinesischen Verbindungsoffizier geschrieben worden — einem
Major ihrer Spionageabwehrabteilung. Bei ihren früheren Vernehmungen waren sie
an jeden einzelnen Gefangenen herangetreten und hatten ihm Essen und Leben
garantiert, wenn er ihnen dafür Auskünfte über die Mitgefangenen erteilte —
also Spitzeldienste leistete, um es genau auszudrücken. Jeder der Männer, außer
einem, hatte sich geweigert. Dann kam ein Abschnitt mit Details dessen, was Stu ihnen an Informationen geliefert hatte. Im letzten
Absatz schrieb der Bursche, sie hätten Stu garantiert, daß er am Leben bliebe und sie würden ihr Wort nicht brechen —
jedoch empfände er es nur als anständig, daß Stus Kommandeur über dessen verräterisches Verhalten informiert würde. Man könnte so
etwas als ein chinesisches Doppelspiel bezeichnen, Lieutenant. Nicht?«
    Jetzt war ich an der Reihe,
Kramer für ein paar Sekunden mit offenem Mund anzustarren. »Sie behielten also
den Brief und benutzten ihn dazu, MacGregor zu
erpressen, statt ihn den zuständigen Stellen zu übergeben?« fragte ich ihn mit
erstickter Stimme.
    »Warum nicht?« sagte er, lässig
die Schultern zuckend. »Wem hätte es in irgendeiner Weise genützt, wenn sie Stu an die Wand gestellt und erschossen hätten?«
    »Sie haben den Brief noch?«
    »Aber sicher«, sagte er
grinsend.
    »Und Sie halten das Ganze nicht
für ein ausreichendes Mordmotiv?«
    »Vielleicht.« Er zuckte die
Schultern. »Aber Stu weiß nicht, wo der Brief ist. Es
nützt nichts, mich umzubringen, solange er nicht weiß, wie er in seinen Besitz
kommen und ihn vernichten kann. Nicht wahr?«
    »Ich war kein wirklicher Held
wie Sie, Kramer«, sagte ich vorsichtig. »Aber ich war während des Kriegs beim
Spionageabwehrdienst der Armee. Wenn ich über diese Sache einen Bericht
abfassen müßte, so würde sich Ihre Situation nicht sehr von der MacGregors unterscheiden. Oder?«
    »Sie drohen mir mit einem
miserablen Bluff, Lieutenant«, sagte er

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