Das falsche Opfer
nahm sich die
Zeit, mit peinlicher Sorgfalt eine Zigarette anzuzünden. »Okay. Das
Frauenzimmer hat also recht — sie war das dritte oder vierte Mädchen, das Stu mir brachte. Sie war die beste von allen — Stu hat im allgemeinen keinen besonders guten Geschmack in
Frauen, und Angel war eine Ausnahme. Wie würde man mich also juristisch
bezeichnen? Wie man mich sonst bezeichnen würde, weiß ich, und es ist mir
völlig egal.«
»Juristisch hätte MacGregor wesentlich mehr zu fürchten als Sie, sofern er
irgendeines dieser Mädchen gegen seinen Willen in diese Situation gezwungen —
oder es mit Geld abgefunden hätte«, sagte ich. »Aber ich bin viel mehr daran
interessiert, zu erfahren, warum er es getan hat. Was wissen Sie über ihn, das
ihn dazu bringt, derart nach Ihrer Pfeife zu tanzen?«
»Eine Angelegenheit
persönlichen Stolzes und persönlichen Ansehens, Lieutenant«, sagte er mit
kalter Stimme. »Ein kleines Geheimnis, das wir zwei miteinander teilen.«
»Was ich hier tue, geschieht,
um Sie am Leben zu erhalten, Kramer«, knurrte ich ihn an, »und Sie machen es
mir zunehmend schwerer, an diesem Vorhaben interessiert zu bleiben. Wenn Sie
den Superklugen spielen wollen, dann auf eigene Kappe.«
»Entschuldigung«, sagte er
rasch. » Stu war ein Held, ein fast so großer Held wie
ich einer war!« Sein Selbstironie verratendes Lächeln vermochte niemanden zu
täuschen. »Das ist ein großer Unterschied, Lieutenant — selbst jetzt haben die
Leute ein langes Gedächtnis. Ich gehe jede Wette ein, daß Stu seinen guten Verkaufsdirektorjob nicht bekommen hätte, wenn sein Kriegsruhm,
garniert mit Korea, nicht seinem Bewerbungsschreiben Nachdruck verliehen
hätte.«
»Wenn ich MacGregors Lebensgeschichte hören möchte, werde ich ihn selber darum bitten«, brummte ich.
»Womit haben Sie ihn erpreßt?«
»Aber das ist sehr wesentlich,
Lieutenant!« Kramers Stimme klang beinahe verletzt. »Ich erzähle Ihnen das
Ganze auf die einzige mir mögliche Weise — die Sache mit dem Helden ist auch in
anderer Weise wichtig. Sehen Sie uns vier an, zum Beispiel. Wir waren auf
unsere bedeutende Art einmalig — Kameraden, die durch dick und dünn wie Pech
und Schwefel zusammenhielten — alle Helden, an deren Triumphen und Kümmernissen
man teilnahm.«
»Ein leuchtendes Vorbild für
die amerikanische Jugend«, sagte ich kühl. »Es bedarf also eines alten
Heldenkameraden, um einen anderen alten Heldenkameraden zugrunde zu richten?«
Er grinste liebenswürdig.
»Jetzt haben Sie’s erfaßt, Lieutenant — das große Geheimnis. Stu MacGregor ist kein Held —
sein Kriegsruhm ist nichts als ein einziger großer Schwindel. Ich lernte ihn
erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs kennen — sich auszudenken, wie er ihn
bis dahin überstanden hatte, bleibt jedem einzelnen überlassen —, und zu diesem Zeitpunkt ging es am europäischen Himmel so zahm zu
wie in der Main Street. Ein paarmal, als wir wirklich Gelegenheit zu Kämpfen hatten, gingen Stu fast
die Nerven durch, aber die übrigen waren damals alte Hasen und niemand bemerkte
im Ernst etwas, weil es nicht mehr wichtig war — außer mir.
Aber in Korea lag die Sache
anders — und wie!« Seine Stimme klang, als weidete er sich förmlich an der
Erinnerung. » Stus Maschine hatte irgendwo am falschen
Ende von MiG Alley Feuer
gefangen, und wir alle dachten, von ihm wäre weiter nichts mehr als die
Erinnerung an einen Kameraden übriggeblieben, als wir zur Luftbasis
zurückkehrten — alle mit Ausnahme eines Burschen, der schwor, er habe Stu mit dem Fallschirm abspringen und sicher auf einer
kleinen Lichtung landen sehen. Also sangen wir an diesem Abend in der Messe ein
paar Strophen von I used to work in Chicago — es war sein Lieblingslied —, drehten sein Bild gegen
die Wand und vergaßen, daß er je existiert hatte.
Dann, sechs Monate später,
während eines großen Infanterievorstoßes, überrannte eine Abteilung ein kleines
Gefangenenlager. Die Koreaner waren ein paar Stunden zuvor ausgerissen, hatten
aber die Gefangenen im Lager zurückgelassen. Es waren dreiundzwanzig,
Lieutenant.« Seine Stimme hatte einen düsteren Unterton. »Einer von ihnen war
noch am Leben, und der Rest war mit Bajonetten umgebracht worden. Wer, denken
Sie, war der Überlebende? — Der gute alte Stu MacGregor ! Seinem Bericht nach hatten die Koreaner eine
Stunde vor Morgendämmerung mit dem Massaker begonnen. Er selber hatte schlimmen
Durchfall und hatte die ganze Nacht nicht geschlafen.
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