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Das falsche Urteil - Roman

Das falsche Urteil - Roman

Titel: Das falsche Urteil - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H kan Nesser
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wollte, entdeckte er den Kommissar. Der bog gerade um die Friedhofsecke, eine Furcht erregende Erscheinung, die ihr Hemd bis zum Nabel aufgeknöpft und sich ein rot kariertes Taschentuch über den Schädel gebunden hatte. Unter den Armen waren Schweißringe zu sehen, die Gesichtsfarbe sah beunruhigend hitzig aus, aber mitten im ganzen Elend war auch ein Ausdruck der Befriedigung zu bemerken. Eine Art unterdrückte zufriedene Grimasse, die kaum misszuverstehen war. Auf jeden Fall nicht für jemanden, der schon so lange dabei war wie Münster.
    »Ach was«, sagte der. »Ich wollte gerade losfahren. Wie war’s?«
    »Auf jeden Fall«, sagte der Kommissar und nahm das Taschentuch ab. »Verdammt heiß.«
    »Das hat ja seine Zeit gedauert«, sagte Münster kühn. »War da oben in dem ganzen Schrott wirklich noch so viel zu sehen?«
    Van Veeteren zuckte mit den Schultern.
    »So dies und das«, sagte er. »Und auf dem Weg hierher habe ich auch mit den Nachbarn geredet. Bei Czermaks gab’s sogar ein Bier. Ja, ja.«
    Er strich sich über die Stirn. Münster wartete, aber es kam nicht mehr.
    »Und ist etwas dabei herausgekommen?«, fragte er schließlich.

    »Hm«, sagte Van Veeteren. »Glaub schon. Fahren wir?«
    Wie immer, dachte Münster und setzte sich hinter das Lenkrad. Genau wie immer.
    »Und was ist dabei herausgekommen?«, präzisierte er, als sie losgefahren waren und der Windzug durch das offene Seitenfenster die normale Gesichtsfarbe des Kommissars wiederherstellte.
    »Ich habe eine Idee, wer es gewesen sein kann«, sagte Van Veeteren. »Eine Idee, merk dir das, Polizeidirektor, ich behaupte nicht, irgendetwas zu wissen.«
    »Und wer?«, fragte Münster, aber er wusste natürlich, dass er keine Antwort erhalten würde.
    Statt zu antworten ließ der Kommissar sich auf dem Sitz zurücksinken, schob den Ellbogen aus dem Fenster und pfiff eine Arie aus »Carmen«.
    Münster drückte aufs Gaspedal und schaltete das Radio ein.

IX
11. August 1981

33
    Zumindest könnte niemand behaupten, sie sei nicht früh genug gekommen.
    Schon um halb neun drehte sie ihre Runden um die Markthalle; und dabei war er normalerweise vor Viertel nach nie fertig, manchmal wurde es auch halb zehn, aber besser war es natürlich, ein wenig Spielraum zu haben. Es stand einiges auf dem Spiel, und Renate wollte nicht mehr auf ihr Geld warten, das war klar.
    Diese schnöden zweitausend Gulden. Vor einigen Jahren hätte sie ohne Probleme doppelt so viel aus dem Ärmel schütteln können... sie hätte einfach die Hand in die Handtasche schieben, ein Bündel Geldscheine herausziehen und diese aufgetakelte Schlampe auffordern können, sich den Rest sonst wohin zu stecken.
    An sich könnte es ihr ja egal sein, ob Renate ihr Geld kriegte oder angeschissen war; sie war nicht auf sie angewiesen. Aber sie war auf Raoul angewiesen, und Renate war nun einmal mit Raoul zusammen. Im Moment auf jeden Fall. Ohne ihn würde sie bald weder Wohnung noch Job haben, das war klar, und verdammt, natürlich würde sie auch auf eigene Faust zurechtkommen... es wäre nicht ihr erster Neuanfang, aber es war gar nicht schlecht, ein so bequemes und geregeltes Leben zu führen wie derzeit sie. Zweifellos. Ein angenehmes Leben, jetzt, zu Anfang der heraufziehenden mittleren Jahre.

    Der Versuch, dieses Geld an Land zu ziehen, wäre also der Mühe wert. Für wie ernst manche die Lage hielten, war ihr erst am vergangenen Abend aufgegangen, und deshalb eilte es nun so. Renate hatte sich am Telefon anders angehört als sonst; Entschuldigungen wären diesmal zwecklos, das hatte sie deutlich anklingen lassen.
    Zweitausend Gulden. Um Viertel nach zehn im Roten Moor. Sonst wäre der Teufel los.
    Ja, das war im Grunde die Lage.
    Sie hatte drei oder vier Bekannte angerufen, aber das hatte natürlich nichts gebracht. Einen oder zwei Hunderter hätte sie zusammenbringen können, vielleicht sogar mehr, wenn sie nur noch eine Weile weitergemacht hätte, aber es war schon fast Mitternacht gewesen und es musste ja wohl trotz allem Grenzen geben.
    Und es gab Leo Verhaven. Er war schon in dem Moment, als sie nach Renates Ultimatum den Hörer aufgelegt hatte, als Möglichkeit aufgetaucht, vielleicht sogar als die beste.
    Leo.
    Und dann war er nicht einmal ans Telefon gegangen.
    Was natürlich irgendwie typisch war.
     
    Sie überzeugte sich davon, dass das Auto an der üblichen Stelle stand. An der Ladestelle im Kreugerlaan. Dann drehte sie noch eine Runde um die Markthalle und über den

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