Das Familientreffen
erretten. Das füllte 1925 seine Zeit – dieser schwärmerische, gescheite Mann -, er begann mit dem Straßenapostolat, er überredete die Mädchen, die Bordelle zu verlassen, zahlte die Puffmütter aus und nahm die Frauen zu Exerzitien mit. Dies war die erste große Aufgabe der Legion Mariens. In der Fastenzeit des Jahres 1925, als Ada Charlie kennenlernte, sprach Frank Duff sehr viel mehr als nur seine Gebete.
All dies fand ich heraus, als ich im Hauptmagazin der Universitätsbibliothek nach ihm jagte. Für meine letzte Uniprüfung schrieb ich an einer Seminararbeit, der ich (ohne jede Ironie, glaube ich) den Titel Bezahlter Sex im Irischen Freistaat gab. Denn plötzlich war ich mir vieler Dinge sicher. Unter anderem, dass die Leute vögelten, das war eines von den Dingen, die sie trieben: Männer vögelten Frauen – und nicht etwa umgekehrt -, und dieser überraschende Mechanismus sollte nicht nur meine Zukunft verändern, die sich zu verengen begann, kaum dass ich sie ins Auge gefasst hatte, sondern ebenso die weite und in sich geschlossene Welt meiner Vergangenheit.
So stellte ich mir eine Zeit lang vor, dass Ada eine von Duffs reformierten Huren war. Natürlich war sie keine schlampige Hure – sie war ein Waisenkind. Sie war gar keine richtige Hure. Sie war ein armes Mädchen, das das Gesicht zur Wand drehte, wenn die Münzen auf das Nachtschränkchen klimperten und die dunklen Umrisse eines Mannes das Zimmer verließen.
Hier sollten wir einen Moment verweilen. Ein Satinschlüpfer mit leicht eingerissener Spitze. Ein Bildnis der Heiligen Jungfrau, das sie in die Schublade gelegt hat, bis er wieder geht. Die Romantik des gefallenen Mädchens. Sie fröstelt im Wartezimmer des Arztes und hält sich am Hals, da wo der Knopf fehlt, den Wollmantel zu. Eine verstaubte Mittelschichtsfantasie von zerknitterten Strümpfen, Tbc und einer Schüssel auf dem Fußboden, über der sie kauert, um sich zu waschen.
Also sind im Gesellschaftsraum des Belvedere Hotels an jenem Abend in der Fastenzeit Priester zugegen und eine Puffmutter und unser Mann mit einer Cadbury’s Pralinenschachtel, Bruder Frank Duff. Sie zahlen die Puffmutter aus. Unauffällig. Sie legen ihren Betrieb still.
Von draußen hören Ada und Nugent zu, dann vergessen sie, auf das dünne Rinnsal der Unterredung zu lauschen, das aus dem Gesellschaftsraum sickert. Zumindest einen Augenblick lang sitzen sie einander lediglich gegenüber – der Mann von der Legion und die kleine Näherin, die Hure. Was macht es schon? Sie ist schön. Und er ist nicht besser, als er sein sollte. Die Stadt ist friedlich, und das Hotel ist friedlich, und es ist niemand da, der Lamb Nugent auf den Kopf zusagen könnte, dass er für den Rest seines Lebens in der guten Stube dieser Frau sitzen und ihr sein Porzellantässchen hinhalten wird für »Noch etwas Tee, Lamb?«.
Das heißt, niemand, bis Charlie Spillane zur Tür hereinkommt.
»Ma’am«, sagt er und tippt dabei an seinen nicht vorhandenen Hut. »Ich hoffe, der Kerl hier hat Sie gut unterhalten.«
Wie gesagt, Michael Weiss gefiel meine Theorie – doch sobald sie ihm gefiel, überlegte ich es mir anders. Sobald er das Wort Prostitution aussprach, begann sie zu schrumpfen, meine kleine Schnecke von einer Geschichte, die ihre Fühler in die Welt hinausgestreckt hatte. Er hatte Ada nie kennengelernt. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wovon ich sprach. Ich sprach von meiner Familie. Davon, was wir taten, dreimal in der Nacht. Von der fleischigen Blume meiner Muschi unter seiner Hand.
Unterdessen tauchte Liam auf und verschwand wieder. Er wohnte in einem Zimmer über einer Spelunke in Stoke Newington, und er war nervös wegen des Examens. Unser Vater wurde puterrot, wenn er davon sprach, dass Liam sein Talent vergeude und er selbst sein gutes Geld zum Fenster hinausgeworfen habe, für Studiengebühren.
»Sag’s deinem Bruder. Falls du ihn siehst. Sag deinem Bruder, er soll mir nur unter die Augen kommen, falls er den Mut dazu hat. Sag ihm das von mir.«
»Aber was, Daddy? Sag ihm was ?«
»Was soll das heißen, was ?«
»Na schön. Ich sag’s ihm.«
»Was?«
»Ich sag’s ihm.«
Mammy fragte: »Wem? Wem was sagen?«
Der Amerikaner in Michael Weiss fand die Familie Hegarty zum Schreien komisch. Hin und wieder begegnete er Liam in der Bar in Belfield, und die beiden verstanden sich auf jene überraschende Weise, die unter Männern so üblich ist – der Mann, mit dem Sie schlafen, und Ihr Bruder zum
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