Das Feenorakel
die Statthalterin Londons einstweilen zur Verfügung gestellt und ihm nach seinem plötzlichen Aufbruch nachgeschickt hatte.
Natürlich verlangte Alva eine Antwort darauf, wohin die Reise gehen sollte. Aber er entschied sich dafür, sie vorerst über seine Pläne im Dunkeln zu lassen, zu erregend fand er ihre Überredungsversuche.
Der Jet verfüge über einen äußerst komfortablen privaten Bereich, hatte ihm die Statthalterin mit einem Augenzwinkern versichert, und sobald das Flugzeug in der Luft war, löste er ihren Gurt und nahm sie bei der Hand. «Komm! Das hast du bestimmt noch nie zuvor gesehen!»
Die eine Hand auf ihrer Taille schob er sie voran, mit der anderen verriegelte er die Tür.
«Ein fliegendes Bordell?», fragte sie kichernd. «Das habe ich tatsächlich noch nie gesehen!»
«Die Farben sind zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftig.» Die Statthalterin hatte schon immer einen Hang zur opulenten Ausstattung gehabt, aber mit diesem Boudoir hatte sie tatsächlich ein bisschen zu viel des Guten getan. Über die Wände flogen kleine, pausbäckige Engelchen und eine mit kostbaren Stickereien versehene Tagesdecke lag über dem riesigen Bett, deren Rottöne mit denen der zahllosen Kissen konkurrierte. Julen musste lachen. «Wir werden die Augen schließen müssen, um nicht zu erblinden.»
«Ich bin ein bisschen überfordert», gab Alva zu und setzte sich vorsichtig auf die Bettkante. «Luxushotels, Privatflugzeuge ... Julen, das ist nicht meine Welt.»
Erschrocken sah er auf. «Ich wollte dir doch nur eine Freude machen. Deine Freunde sitzen jetzt in dem klapprigen Bus ...»
«Ich bin dir ja auch dankbar, dass du mir die Gelegenheit gegeben hast, mit Florentine zu sprechen. Aber ehrlich gesagt ...»
«... wärst du jetzt lieber mit deinen Freunden zusammen.» Ihre Worte schmerzten mehr, als er es jemals für möglich gehalten hatte.
«Ja. Nein.» Sie sah ihn mit einem komisch verzweifelten Gesichtsausdruck an. «Nicht ohne dich. Aber ich hatte mir das so schön vorgestellt. Eine Band, die auf Tour geht und dabei endgültig zusammenwächst. Verstehst du, ich hatte es noch nie besonders leicht, Freunde zu finden, weil ich schon immer irgendwie anders war. Das haben die meisten gespürt, nehme ich an, und sich deshalb von mir ferngehalten. Jetzt ist mein Anderssein zum ersten Mal ein Vorteil, der zumindest meine Bandkollegen nicht abstößt und wieder steht ein Geheimnis zwischen uns.» Traurig sah sie auf ihre Hände. «Ich weiß einfach nicht mehr, wohin ich gehöre.»
Julen wusste nicht, wie er sie trösten sollte. Was sie in den letzten Tagen und Wochen über sich selbst erfahren hatte, war ganz sicher nicht leicht zu verarbeiten: Die Mutter eine Fee, der Vater unbekannt, magische Fähigkeiten, die sie trainieren sollte, aber nicht wusste wie. Schließlich tat er das Einzige, was ihm in diesem Augenblick einfiel: Er zog sie an sich, um zärtlich ihre Tränen fortzuküssen.
Es war offensichtlich, dass Alva noch nie in Berlin gewesen war. Sonst hätte sie nicht so ratlos aus dem Fenster geschaut, als sie bald darauf erneut in einem Taxi saßen, das sie durch die nächtlichen Straßen transportierte.
Julen hatte dem Fahrer den Mund verboten, und als sie ausgestiegen waren, raste er, ohne sich für die Fahrt bezahlen zu lassen, in einem halsbrecherischen Tempo davon.
Überrascht sah Alva dem fliehenden Wagen hinterher. «Diese Taxifahrer machen mir allmählich Angst.» Dann schaute sie an den schlichten Hausfassaden hinauf. «Wo sind wir hier überhaupt?»
«In Berlin. Die Band ist zwar noch unterwegs, aber morgen bringe ich dich zu ihnen zurück. Und weil ich auch nicht wahnsinnig auf Luxus stehe und mir es, nebenher gesagt, auch gar nicht ununterbrochen leisten kann in teuren Hotels zu wohnen, habe ich uns eine Unterkunft bei Freunden organisiert.»
«Sind Sie auch ...», Alva zögerte, was ihm deutlich bewies, dass sie noch viel Zeit brauchen würde, um sich mit ihrer Herkunft anzufreunden. «Sind sie wie wir?»
Das wäre eine knifflige Frage, wenn er sie denn ehrlich hätte beantworten wollen. «Vivianne ist die Schwester meines Chefs. Aber du wirst ihr nicht begegnen, sie hat kürzlich ihren Seelenpartner gefunden und ist nun mit ihm auf Reisen.»
«Seelenpartner? Du meinst, sie hat geheiratet und die beiden sind jetzt in den Flitterwochen.»
«Genau.» Erleichtert, dass sie nicht weiter nachfragte, legte er seine Hand auf das Eisentor, das den Innenhof zum Loft der beiden Vampire
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