Das Feenorakel
Auf Antworten würde er vorerst warten müssen.
«Der Fluch», riss sie ihn aus den Gedanken.
«Es heißt, Chris könne nur dann empfangen, wenn sie sich mit Ihresgleichen paare.»
«Ich wünschte, du würdest eine nettere Umschreibung dafür finden.» Für einen Augenblick sah es so aus, als wollte sie näher darauf eingehen, dann überlegte sie es sich offenbar anders. «Du meinst also, dass sie nur gemeinsam mit einem Lichtelf Kinder bekommen könnte. Das mag eine Einschränkung sein, besonders grausam klingt es aber nicht.»
«Vielleicht schon, wenn man weiß, dass männliche Feen diese Welt meiden. Die Chance, einen Elf zu treffen, sind also minimal.» Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, wurde ihm klar, dass er sich damit auf sehr dünnes Eis begeben hatte. Immerhin hatte er nicht auch noch verraten, dass die männlichen Feen im Laufe der Jahrhunderte zeugungsunfähig geworden waren. Aus diesem Grund suchten ihre Frauen sich ja einen Vater für ihre Kinder unter den Menschen. Dummerweise hatte Alva genau zugehört.
«Dann bist du also eine Ausnahme. Oder ...»
Bevor sie weiter sprechen und ihren Zweifel an seiner Identität womöglich formulieren konnte, fiel er ihr ins Wort. «Genau. Sie scheint anzunehmen, dass ich ihr in der Sache weiterhelfen könnte.»
«Könntest du?»
«Was denkst du?» Er lachte, wurde aber sofort wieder ernst. «Die Frage stellt sich mir überhaupt nicht. Ich will es nicht!»
Als zweifelte sie seine Aufrichtigkeit an, gab Alva eine Art Schnauben von sich und hob die linke Augenbraue. «So?»
Jetzt erlaubte sich Julen etwas von seinen tiefen Emotionen zu zeigen. «Du weißt genau ...», er stockte.
«Was?», erwartungsvoll biss sie sich auf die Lippen. Es konnte ihm unmöglich entgehen, welche Bedeutung seine nächsten Worte für Alva – aber auch für ihn selbst – haben würden.
«Ich liebe dich!», sagte er heiser und sah beiseite.
Nach einer Stille, die selbst einem Vampir endlos erscheinen musste, rückte seine zauberhafte Sirene näher an ihn heran, bis sich ihre Körper berührten. «Warum sagst du das nicht gleich?» Sie legte ihm die Hand in den Nacken und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.
Für die Dauer eines Wimpernschlags war er sich nicht sicher, ob das unausgesprochene Versprechen in ihrer Stimme Wirklichkeit war oder nur eine Illusion. Sind wir Seelengefährten? Wie üblich blieben ihm die Götter die Antwort schuldig.
Kapitel 16
Mit Julen war nicht zu rechnen. Jedenfalls so lange, wie die Sonne vom Augusthimmel brannte. Er mochte ja erzählen, was er wollte, aber in all der Zeit, die sie nun bereits zusammen waren, hatte sie ihn nicht ein einziges Mal im Sonnenlicht gesehen.
Alva saß auf einem großen Stein und nagte an ihrer Unterlippe. Dabei hätte sie unbedingt mit ihm über den Traum sprechen müssen, doch als sie am Morgen erwacht war, hatte er das Zimmer bereits verlassen. Immerhin hatte er sich inzwischen angewöhnt, ihr kleine Nachrichten zu schreiben. Sie zog den Zettel aus der Tasche, der auf ihrer Reisetasche gelegen hatte. Guten Morgen! stand darauf. Daneben hatte Julen ein Herz gemalt. Ihr teurer Lippenstift war zwar jetzt ruiniert, aber sie konnte ihm deswegen nicht böse sein.
Der Traum war höchst merkwürdig gewesen. Sie stand in einem Tempel. Frauen in drapierten Gewändern gingen lautlos auf und ab. Irgendwo wurde die Leier geschlagen. Eine Frau erschien, ihr Gesicht war verschleiert, in der Hand trug sie eine mit kostbaren Juwelen besetzte Schale. Wie aus dem Nichts tauchte ein hochgewachsener Mann auf, nahm ihr die Schale ab und führte sie in einen fensterlosen Raum, der nur von einer Flamme in seiner Mitte beleuchtet wurde. Alva war sich nicht sicher, aber ihr kam es vor, als lauerten in den Schatten unheimliche Wesen. Die Frau kniete nieder und senkte ihren Kopf.
«Zeig dein Gesicht!», sagte eine körperlose Stimme, und sie gehorchte.
Als sie aufsah, hörte man empörtes Zischen aus allen Ecken des Raums. «Still!», verlangte die Stimme, die so schneidend klang, dass Alva sich am liebsten die Ohren zugehalten hätte. Auch die kniende Frau war zusammengezuckt.
«Wir wissen, warum du hier bist. Du kannst das Kind nicht schützen, der Tag steht bereits im Buch des Schicksals.»
«Ich möchte nur wissen, was sie erwartet.» Etwas an der Art, wie die Frau sprach, berührte Alva und am liebsten wäre sie zu ihr gegangen, aber unsichtbare Fesseln hielten sie fest.
«Wenn ihre Magie erblüht und sie den Traum entdeckt,
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