Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Feenorakel

Titel: Das Feenorakel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeanine Krock
Vom Netzwerk:
schliefen äußerst selten, und wenn sie es taten, dann meistens nur, weil ihnen nichts Besseres einfiel, mit dem sie die langen Stunden bis zum Sonnenuntergang verbringen konnten. Julen allerdings gehörte nicht zu denjenigen, die unter Langeweile litten. Er hatte immer etwas zu tun.
    «Ich kenne mich nicht besonders gut in der Stadt aus.» Alva zögerte, bevor sie weitersprach. «Gibt es ein Nacht-Café oder Ähnliches, wo wir vielleicht noch etwas trinken können?»
    Er kannte nichts dergleichen, denn er war ihr ja erst vor wenigen Tagen hierher gefolgt. Einen Spaziergang am Fluss, wie sie ihn jetzt vorschlug, würde er heute gewiss nicht mit ihr unternehmen. Überhaupt war es keine gute Idee, noch lange allein mit Alva die Straßen entlangzuschlendern. Seine Reißzähne drückten bereits schmerzhaft im Kiefer und er traute sich selbst nicht mehr.
    Sie lachte verlegen. «Ich sollte das nicht tun, aber da in unserer Wohngemeinschaft offenbar ein unerschöpflicher Vorrat an Wein existiert ...», sie blickte auf ihre Schuhspitzen, während sie weitersprach, und rieb mit dem Zeigefinger ihren Nasenrücken, «also ... wir könnten auch zu mir gehen.»
    Julen wusste nicht, was er sagen sollte. Eigentlich hätte er sie bis vor die Haustür begleiten und sich dann von ihr verabschieden müssen. So, wie es seinem Auftrag entsprach.
    Und während er noch überlegte, wie er das entzückende Angebot höflich ablehnen könnte, sprach sie weiter: «Sicher wirst du mir erklären wollen, was du in dem Baum vor meinem Fenster zu suchen hattest.»
    Ihr Mut über etwas zu sprechen, von dem sie nicht einmal wusste, ob es wirklich geschehen war, beeindruckte ihn. Und Julen wusste, dass er es nicht übers Herz bringen würde, seine regelmäßigen Besuche abzustreiten. Sie hatte es verdient, die Wahrheit zu erfahren. «Mhm!», war deshalb seine einzige Reaktion und sie legten den Rest des Weges schweigend zurück, während er sich den Kopf nach einer harmlosen Erklärung für sein Verhalten zermarterte.
    Vor der Haustür blickte er dann auch umständlich auf die Uhr, obwohl er natürlich genau wusste, dass ihm noch eine Stunde bis zum Sonnenaufgang blieb. Dabei erwiderte er ihr scheues Lächeln und fühlte sich dabei wie ein Tiger, der seine Reißzähne bleckte. Ihre Lippen, die merkwürdig schräg gestellten Augen und die geschwungenen Augenbrauen, dazu der köstliche Duft ihres Blutes, der unter seinem Blick noch intensiver wurde, all dies stellte seine Selbstbeherrschung auf eine harte Probe.
    Reiß dich zusammen! , ermahnte er sich. Natürlich würde er die Situation nicht ausnutzen. Schon allein deshalb, weil Kieran angedroht hatte, ihn einen Kopf kürzer zu machen, wenn er die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuschte. Und das war bei seinem Boss nicht nur eine Redensart.
    Die wunderbare Alva wartete derweil geduldig auf seine Entscheidung, und Julens Ahnung verstärkte sich, dass unter der entzückenden Hülle ein vielleicht nicht ganz so naives Wesen lauerte, wie es den Anschein haben mochte. Die Kleine zeigte jedenfalls wenig Respekt vor ihm und er war gespannt darauf, was sie ihm enthüllen würde. Es war zwar bisher nur seine Intuition, die ihm verriet, dass auch sie ein paar interessante Geheimnisse hatte, aber dass dem auch wirklich so war, bezweifelte er längst nicht mehr.
    Also gab er ihr schließlich die zweideutige Antwort, «für einen guten Tropfen bin ich immer zu haben», und hätte sich sogleich dafür ohrfeigen können. Wann hatte er zuletzt an nichts anderes mehr denken können als die Befriedigung seiner Gelüste? Zum Glück verstand sie die Anspielung nicht, und er folgte ihr also wider besseren Wissens lautlos in die Wohnung, wo sie eine Tür öffnete und ihm per Zeichensprache signalisierte, dass er schon einmal vorgehen sollte. Julen tat, was sie von ihm verlangte.
    Wenig später erschien Alva mit Gläsern, Mineralwasser und einer Flasche Rotwein, stellte alles auf dem Tisch ab, drückte ihm einen Korkenzieher in die Hand und entzündete ihre beiden Kerzen. Im Handumdrehen hatte er die Flasche geöffnet und eingeschenkt. Sie setzten sich und Alva hob ihr Glas. «Ich bin gespannt, was du mir zu erzählen hast.»
    Das leichte Zittern ihrer Hand war nicht zu übersehen, auch ihre Stimme klang nicht ganz fest. Sie tat ihm leid, und er überlegte erneut, was er ihr verraten, ihr überhaupt zumuten durfte.
    «Nun?», trotz der offenkundigen Furcht klang ihre Stimme samtweich, und er hätte ihr in diesem

Weitere Kostenlose Bücher