Das Feenorakel
würdest.» Stefan sah nicht begeistert aus.
«Ja, klar. Keine Sorge, es wird mich schon niemand wegschnappen.» Im Hinausgehen hörte sie ihn etwas murmeln, das klang wie: «Wenn man sich da nur sicher sein könnte!»
Erleichtert verließ sie das Gebäude und atmete draußen tief durch. Erst jetzt erkannte sie, wie beengt sie sich drinnen gefühlt hatte.
Das Areal grenzte im hinteren Teil an einen Wald. Ohne sich dessen bewusst zu sein, schlug Alva diese Richtung ein und fand sich wenig später auf einem Weg wieder, der sich den Hügel zu einer Aussichtsplattform hinaufwand. Zumindest hatte dies auf einer Hinweistafel weiter unten gestanden.
Oben angekommen setzte sie sich auf eine sonnenwarme Bank und sah über das Tal. Trotz des guten Wetters war ihr unterwegs niemand begegnet, und sie genoss es, endlich wieder einmal allein in der Natur zu sein.
Na endlich!
Suchend sah sich Alva um, aber da war niemand. «Bitte?», fragte sie zögerlich, nicht sicher, ob sie sich verhört hatte.
Hier bin ich!
Die Stimme kam ihr bekannt vor. Aber woher? Sie stand auf und blinzelte gegen das Sonnenlicht in den hellen Buchenwald, aus dem sie gekommen war. Zwischen den hohen silbrig schimmernden Stämmen kam ihr der moosige Boden aufgeräumt genug vor, um einen Menschen erkennen zu können, selbst wenn dieser versucht hätte, sich hinter einem der Bäume zu verstecken.
Hinter ihr raschelte es. Sie drehte sich um und ihr Herz machte vor Schreck einen doppelten Hopser. «Haben Sie mich erschreckt!»
«Kind, lass dich anschauen!» Ohne auf ihre abwehrende Reaktion zu achten, kam eine Frau auf sie zu. Mit jedem Schritt, den sie machte, fühlte sich Alva mehr in ihre Vergangenheit zurückversetzt.
Unfähig sich zu bewegen gestattete sie der Frau, sie zu umarmen. «Nienibit?» Der Name ihrer heimlichen Begleiterin aus Kindertagen war bei der ersten Berührung plötzlich wieder präsent. Alva holte tief Luft und öffnete ihre Sinne für die Energie, die die Fremde umgab. Ihre Seele hatte auf dieses geheime Zeichen gewartet. Eine verborgene Kammer öffnete sich, als hätte jemand nach Jahren den Schlüssel wiedergefunden und würde ihn nun in einem rostigen Schloss langsam drehen.
«Lass diese Sentimentalitäten!» Die Fee Nienibit wischte sich rasch über die Augen und trat einen Schritt zurück. «Hast du eigentlich alles vergessen, was ich dich gelehrt habe?»
«War das nicht der Plan?» Alva erinnerte sich plötzlich an die Abschiedsworte ihrer weisen Lehrerin. Du wirst den richtigen Zeitpunkt erkennen, dich zu öffnen!
Nienibit lachte. «Sehr gut erkannt! Aber nun wird es Zeit, dass unser Dornröschen aus ihrem Schlaf erwacht.» Sie beugte sich vor und raunte: «Vieles hat sich geändert. Ich darf nicht länger helfen, aber vergiss niemals: Du bist einzigartig, und das kann dir niemand nehmen! »
Und wie es in Träumen üblich war – oder im Kino, dachte Alva verdrossen –, wurde die Erscheinung zusehends transparenter, bis sie endgültig mit den Sommerfarben der Natur verschmolz.
Was war das denn für eine Begegnung? Hätte ihre Vertraute aus Kindertagen nicht länger bleiben können? Sie hatte unzählige Fragen und sicherlich hätte sie irgendwann auch daran gedacht, Nienibit nach den weißen Träumen zu fragen.
Trotz der erstaunlichen Vergesslichkeit lief sie beschwingt den Hügel hinab und freute sich auf den ersten Auftritt ihres Lebens, anstatt vor lauter Lampenfieber die Besinnung zu verlieren, wie es in ihrer Situation eine ganz normale Reaktion gewesen wäre. Danke, Nienibit!
Danke mir nicht, Kind! Es fängt gerade erst an.
Kapitel 7
Und dann war es so weit: ihr erster Auftritt! Unsicher überquerte Alva die Bühne. Ihre linke Hand streifte etwas Kaltes und sie erschrak. Doch bei genauerem Hinsehen war es nur ein Mikrofonständer, den sie aus Versehen in der Dunkelheit berührt hatte. Und endlich stand sie mitten auf der Bühne, hörte die Menschen reden, sah, wie noch mehr Zuschauer durch weit geöffnete Eingänge ins Halbdunkel hereindrängten, angelockt von einer erwartungsvollen Stimmung.
Mit beiden Händen hielt sich Alva am Mikrofon fest, um ein warnendes Zittern zu unterdrücken. Trotz ihrer Aufregung, die nun doch zurückgekehrt war, spürte sie, wie die anderen ihre Positionen hinter ihr einnahmen. Da erklang auch schon das verabredete Zeichen: Stefan schlug die Drumsticks aufeinander und die Scheinwerfer flammten auf. Das Licht blendete Alva und plötzlich waren die weißen Träume zum Greifen
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