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Das Fenster zum Hof

Das Fenster zum Hof

Titel: Das Fenster zum Hof
Autoren: Cornell Woolrich
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Er trat aus der Kabine, schloß die Falttür
hinter sich und hängte das Schild wieder an seinen Platz, dann hielt er inne
und lauschte. Die machten einen ganz schönen Lärm da draußen, es klang, als
würden sie alle wie wild durcheinanderrennen. Jemand pochte heftig gegen die
Tür. Sie wollten was von Fade — er war keine Minute zu früh zurückgekommen! Er
hörte den Barkeeper durch die geschlossene Tür brüllen: »Hallo, Boß! Alles
klar? Was ist los, Boß ?« Brains schnellte herum und
verschwand im Büro.
    »Hab mir’s anders überlegt«, keuchte
er. »Das war knapp. Die rufen da draußen nach dir — was sie wohl wollen?
Augenblick noch, bis ich...« Seine Finger arbeiteten sich wie wild die
Knopfreihen von Mantel und Jackett entlang. Mit einem Achselzucken schüttelte
er beide zugleich ab. Sie rutschten hinab und blieben an den Ellbogen hängen.
So, die Kleidungsstücke halb an- und halb ausgezogen, stand er jetzt da und
schaute, nein starrte über den Tisch hinweg.
    Es hatte sich nichts verändert: Die
Karten, die Drinks, das Geld, alles war wie zuvor, nur Fade war über dem Warten
eingedöst. Das Kinn war ihm auf die Brust gefallen, und sein Kopf sank, während
Brains ihn ansah, immer tiefer, Stück für Stück. Direkt über Fades Kopf hingen wie
ein Vorhang drei horizontale Dunstschwaden, ein eigenartiger, bläulicher Dunst,
und es war nicht erkennbar, daß er eine Zigarre geraucht hatte.
    Brains lehnte sich über den Tisch,
packte Fade an der Schulter, spürte durch das Hemd die Wärme des Körpers.
    »He, wach auf !« Dann sah er den Revolver in Fades Schoß liegen. Er
hatte ihn offensichtlich fallen lassen. Aus dem Lauf stieg noch immer träge
bläulicher Dunst empor. Das Lederläppchen lag unten am Boden. Bereits ehe er
den Revolver an sich genommen hatte und Fades Kopf hob, um sich sein Gesicht
anzusehen, war ihm alles klar. Er hatte eine seiner vielen Kanonen einmal zu
oft geputzt. Als er ihm schließlich in die Augen sah, war nur noch eins davon
da, durch das andere war ihm die Kugel in den Kopf eingedrungen.
    Die Tür ging krachend auf, und alles,
was Beine hatte, schien hereinzuströmen. Das Büro war plötzlich mit Leuten
vollgestopft. Alle sahen ihn über den Schreibtisch gebeugt dastehen, den
Revolver in der Hand, den Mantel bis an die Ellbogen herabgezogen. Er spürte,
wie man ihm die Waffe abnahm, dann packte jemand seine Handgelenke, der
Barkeeper fragte: »Was hast du mit ihm gemacht ?« und
schickte jemanden los, um die Polizei zu holen. Jetzt, wo Fade tot war, konnte
er auf das Geheimnis pfeifen! Er wehrte sich heftig, versuchte freizukommen,
schaffte es aber nicht.
    »Ich bin eben erst hier reingekommen !« brüllte er. »Er hat es selber getan — ich sag euch doch,
ich bin eben erst hier reingekommen !«
    »Du hast den ganzen Abend mit ihm
rumgestritten !« rief der Barkeeper. »Kurz vor dem
Schuß hat er dich sogar noch angebrüllt, das haben alle gehört, nicht nur ich —
wie kannst du da behaupten, du wärst grad erst reingekommen ?«
    Brains schrumpfte zusammen, als hätte
ihn ein unsichtbarer Vorschlaghammer getroffen. Dann begann er, so wie er
dastand, zu erstarren. Er spürte, wie ihn Hände abtasteten, von denen er nicht
wußte, zu wem sie gehörten, Polizistenhände waren das jetzt, und dachte die
ganze Zeit über einen Ausweg nach; damit war er auch noch beschäftigt, als sie den
Schuldschein, den er von Fade zurückbekommen hatte, mit dem anderen verglichen,
den er ihm dann gegeben hatte. Er schüttelte den Kopf, als sei er betrunken und
wolle ihn wieder klar bekommen.
    »Moment mal, ich muß euch was zeigen«,
hörte er sich sagen. »Die Telefonzelle, gleich da draußen im Gang, is’ gar
keine — die is’ bloß ‘ne Attrappe. Durch die bin ich reingekommen, als es
gerade passiert war — ich zeig’s euch !«
    Er wußte, sie würden sich’s zeigen
lassen, würden mit ihm kommen und es sich ansehen — aber irgendwie war ihm
bereits völlig klar, daß ihm das wenig nützen würde. Niemand hatte ihn gehen
und niemand hatte ihn zurückkommen sehen. Nur Hitch wußte Bescheid, und wie
sollte er den dazu bringen, ihm zu helfen?
    Als er sie hinaus zur Kabine führte, den
Körper unnatürlich tief gebeugt, um möglichst schnell hinzukommen, winselte er
leise vor sich hin: »Sechs hab ich umgebracht, und nie konnten sie mir was
anhaben; den siebten hab ich leben lassen, und da schnappen sie mich für Mord,
den ich überhaupt nicht begangen hab !«

Montreal
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