Das Fest der Schlangen
wehgetan hatte. Wer hätte keine Angst vor Carl? Und es war schwer, Lucy anzutreiben. Sie wollte nicht rennen, sie wollte sich unter einen Busch legen. Sie wollte weinen, und Hercel erlaubte es nicht. Er versuchte zur Water Street durchzukommen. Wenn er das Polizeirevier erreichen könnte, wären sie gerettet. Vielleicht hätte es auch geklappt, wenn Carl sie nicht zwischen zwei Häusern gesehen hätte. Er war ihnen auf allen vieren nachgelaufen. Da hatte Hercel seine Schwester auf die Straße hinausgezogen und Bernies VW gesehen.
Während sie Hercel zuhörte, fing Bernie ebenfalls an zu weinen. Sie wischte sich die Tränen mit den Fäusten ab und rief mit ihrem Handy auf dem Polizeirevier an. Harriet musste verletzt sein; dass sie tot war, wusste Bernie nicht. Diese Konsequenz erschien unvorstellbar.
Nach dem Blinklicht an der Route 1 sah Bernie keine Autos mehr. Hercel kam auf den Vordersitz geklettert. Lucy war gottlob auf dem Rücksitz eingeschlafen.
»Bist du nicht müde?«, fragte Bernie.
»Nur ein bisschen.« Hercel wollte nicht sagen, dass er immer, wenn er die Augen zumachte, Carl vor sich sah, wie er ihre Mutter hochhob und gegen den Kamin schleuderte. Jedes Mal hörte er das Kokosnussgeräusch, mit dem ihr Kopf gegen den Sims schlug, und das klirrende Krachen, als sie auf dem Schürhaken landete. Er hatte zu ihr laufen wollen, aber Carl hatte ihn angeknurrt. Hercel hatte es sogar mit seinem Trick versucht und David sein wollen, wie Carl Goliath war, doch der Trick war unzuverlässig. Er hatte zu viel Angst gehabt und sich nicht konzentrieren können, denn es funktionierte nur, wenn er so angestrengt dachte, dass ihm der Kopf wehtat.
»Glauben Sie, mit meiner Mom ist alles okay?«, fragte er.
Bernie spürte ein eisiges Gefühl im Herzen. »Das können wir nur hoffen.«
»Sie ist bestimmt verletzt, oder?«
»Ein bisschen wahrscheinlich, aber, weißt du, die Menschen sind zäh.«
»Sie hat sich nicht mehr bewegt, nachdem sie gefallen war.«
»Vielleicht hat es ihr den Atem verschlagen. Du bist ja nicht mehr lange geblieben, oder?«
»Carl hat gesagt, er will uns fressen.«
Oh, ihr armen Kinder , dachte Bernie.
Die Scheinwerfer des Käfers erfassten etwas Glänzendes vor ihnen, das sich im nächsten Moment als Augenpaar erwies.
»Kojoten«, sagte Hercel. »Sie warten auf uns.«
Bobby Anderson fand es auffallend, dass Carls roter Ford Pickup noch in der Einfahrt stand. Er war nicht damit weggefahren und auch nicht zurückgekommen, um ihn zu holen.
»Glaubst du, er ist noch in der Stadt?«, fragte er Woody.
Sie standen auf der Vorderveranda des Bungalows. Es war eine klare Nacht, und Woody schaute zum Himmel hinauf und entdeckte das Sternbild Orion. Das bedeutete, dass der Winter fast da war.
»Er ist nicht ganz dicht«, sagte Woody. »Man weiß nie, was er macht.«
»Hast du einen Hund bestellt?« Bobby meinte einen Spürhund von der Staffel.
»Brotman sagt, der Hund sei unterwegs. Könnte in« – Woody sah auf die Uhr – »in zwanzig Minuten hier sein.«
»Bis dahin kann Carl überall sein.«
»Wenn er zu Fuß unterwegs ist, wird der Hund ihn finden.«
Endlich kam ein Krankenwagen, der Harriets Leichnam abholte und in die Rechtsmedizin nach Providence brachte. Woody erkannte Seymour Hodges, aber anstelle von Jimmy Mooney war jemand anders bei ihm. Woody hatte neulich versucht, mit Seymour über den Irak zu sprechen. Er hatte gedacht, weil er ’ 91 auch da gewesen war, würde Seymour sich vielleicht zugänglicher zeigen. Doch das hatte er nicht getan. »Nicht schön« – mehr hatte er nicht gesagt. Verdenken konnte Woody es ihm nicht. Seymour hatte durchdringend nach Gras gerochen, aber Woody hatte es hingehen lassen. Er hatte selbst gekifft, als er zurückgekommen war. Gekifft, getrunken und Tabletten geschluckt – eine Achterbahn des künstlichen Vergessens. Geholfen hatte es nicht.
»Wo ist Ihr Kollege?«, fragte er Seymour jetzt.
Seymour drehe sich um und sah überrascht, dass Jimmy nicht auf dem Beifahrersitz saß. »Keine Ahnung. Hat wahrscheinlich zu tun.«
Bobby gab Woody einen Rippenstoß. »Fahren wir ein bisschen durch die Gegend.«
»Willst du den Truck nehmen?«
»Mit all den Hundehaaren? Hey, ich liebe Ajax, aber ich möchte ihn nicht anziehen.«
Also quetschte Woody sich in den Z. Nach dem Tundra fühlte es sich an, als kletterte er in einen Sarg. Schwarzlederne Innenausstattung, orangegelb beleuchtete Armaturen und ein blau schimmerndes GPS -Display verwandelten
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