Das Fest der Schlangen
angelt er oft in der Brandung. Haben Sie am Strand nachgesehen?«
»Gute Idee.« Woody unterdrückte ein Gähnen. »Wissen Sie, mit wem er befreundet ist oder was er sonst noch so treibt?«
»Ich sehe, dass er ab und zu mit Leuten redet. Ich bin nicht gern neugierig. Niemand hat etwas gegen ihn. Benny ist gut in dem, was er tut. Er hat eine Stanzbiopsie an Ihrer Zyste vorgenommen, wenn ich mich recht entsinne. Er könnte in einem Spitzenlabor oder in einer größeren Klinik arbeiten. Leute wie er machen ein Haus erstklassig.«
»Sonst noch was?«
Dr. Serpa schwieg kurz. »Ach ja – als wir das letzte Mal angeln waren, hat er etwas von einem Trip nach Atlantic City erwähnt. Die meisten Leute fahren da zum Spielen hin, wie Sie sich denken können, aber er war auch angeln. Hat jedoch nichts gefangen.«
»Hat er vom Spielen gesprochen?«
»Nein, nur vom Angeln.«
»Nennen alle ihn Benny?«
»Benny? Hm, das weiß ich eigentlich nicht. Habe nie darüber nachgedacht.«
Woody sprach auch mit Dr. Jonathan Balfour. Wie Dr. Fuller ließ er nicht erkennen, dass er Woody schon einmal begegnet war. Er schaute ständig auf seine Uhr und tappte mit dem Fuß auf den Boden, sodass Woody ihn am liebsten den ganzen Tag festgehalten hätte.
»Wir sind zwei- oder dreimal zusammen zum Lunch gegangen. Auch mal Kaffee in der Stadt. Hauptsächlich, um über Untersuchungsergebnisse zu sprechen. Er angelt gern, wie ich mich erinnere. Ich habe seit meiner Kindheit nicht mehr geangelt. Mein Dad schleifte uns immer zu seinem Boot hinaus, und Clouston wollte mich mit zum Angeln nehmen. Doch das fällt mir im Traum nicht ein.«
»Wieso nicht?«
»Jedes Mal, wenn mein Dad uns mit rausnahm, bin ich seekrank geworden und habe über die Reling gekotzt. Ich steige so schnell nicht wieder in ein Boot.«
»Hat er Frauen? Freundinnen?«
»Nicht, dass ich wüsste. Natürlich redet er mit Frauen, aber da ist mir nichts aufgefallen.«
»Auch nicht Schwester Spandex?«
Balfour warf ihm einen wütenden Blick zu. Aha , dachte Woody und gönnte sich einen leisen Sarkasmus. Er erinnert sich also doch an mich .
»Nein, auch nicht Schwester Spandex. Clouston ist einer von diesen selbstgenügsamen Typen, die mit ihrer eigenen Gesellschaft absolut zufrieden sind. Ein Glück für sie, habe ich immer gedacht. Man findet das manchmal bei Leuten, die ihr Leben lang in ein Mikroskop starren.«
»Hat er jemals erwähnt, dass er nach Atlantic City oder nach Las Vegas gefahren ist?«
»Nie. Ich hatte auch nie den Eindruck, dass er auf Showgirls steht.«
»Und wie ist es mit Glücksspiel?«
»Kann ich mir nicht vorstellen.«
Balfour sah wieder auf die Uhr. Bei Vernehmungen beneidete Woody oft Bobby Anderson, der seinen Charme ein- und ausschalten konnte wie eine Lampe. Bobby fiel es leicht, jemanden davon zu überzeugen, dass er Mitgefühl mit ihm hatte, Anteil nahm und wusste, sein Gegenüber wurde unfair behandelt. Manchmal war das aufrichtig, manchmal nicht, doch Bobby benutzte es stets als Werkzeug, und dieses Werkzeug hatte Woody nicht. Sein Charme ging kaum über ein Hallo hinaus. »Kannst du nicht wenigstens freundlich gucken ?«, hatte Susie immer gesagt.
Den Rest des Tages verbrachte Woody mit weiteren Befragungen, aber er erfuhr nicht mehr als das, was er schon in den ersten Gesprächen erfahren hatte. Jedes Mal hatte er auch gefragt: »Haben Sie eine Ahnung, weshalb Clouston plötzlich verschwinden könnte?« Niemand hatte darauf eine Antwort, und niemand hatte gewusst, dass Clouston wegfahren wollte. Tatsächlich nahm die Arbeit für Woody ständig zu.
Er hatte Bonaldo aufgetragen, sich um Cloustons Vergangenheit und seinen familiären Hintergrund zu kümmern. Bonaldo delegierte diese Arbeit an andere. Am Spätnachmittag hatte er herausgefunden, dass Clouston in Haslett, Michigan, aufgewachsen war und an der University of Michigan studiert hatte. Er hatte dort ein Magisterexamen in Medizintechnik erworben und zwei Jahre später promoviert. Seine Mutter, die immer noch in Haslett wohnte, gab an, ihr Sohn rufe ungefähr viermal im Jahr an und schicke auch Geld. Selbst wenn sie es »eigentlich nicht« brauche, sei sie froh darüber. Ben habe erst Allgemeinarzt werden wollen, sagte sie, doch dann sei er zu dem Schluss gekommen, er wolle nicht, dass »ein Haufen bedürftiger Patienten ihm die Ohren volljammerte«, und er habe keine Lust gehabt, seine Zeit als Assistenzarzt zu verschwenden. Sie habe ihren Sohn seit etwa fünf Jahren nicht mehr
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