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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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mir ja auch nicht einfach, sondern frage höflich, ob du es mir schenken willst«, antwortet er. Sie könnte schwören, dass er lächelt.
    »Warum sollte ich einem ungehobeltem Burschen wie Ihnen mein Radio schenken!«, ruft sie empört. »Sie dringen in mein Haus ein. Sie beleidigen mich, Sie fluchen, lästern über unseren Herrn, und jetzt wollen Sie auch noch mein Radio!?«
    »Es ist Weihnachten. Da schenkt man sich doch etwas, oder?«
    »Wenn man sich liebt!«
    »Ach, nur dann? Also, ich liebe die Menschen. Ich kümmere mich mehr um sie als der Alte, das ist mal sicher. Denn der unternimmt rein gar nichts, während ich dafür sorge, dass sie erkennen, was sie tun können … Doch was ist der Dank? Sie setzen Veränderung mit dem Bösen gleich, für das sie ganz alleine verantwortlich sind. Und sie verteufeln mich auch noch.« Er lacht, und sie spürt seine Hand auf ihrer Wange. Seine Hand fühlt sich warm an, fast schon zu heiß.
    »Also, ich liebe dich, Maria Magdalena Smith. Für das, was du bist. Ein Mensch, der frei entscheiden kann, der Gut und Böse erkennt und dann für eine Seite einsteht!«
    »Für die gute!«, entscheidet sie und wundert sich, dass er ihren Namen kennt. Richtig, der steht draußen auf dem Briefkasten.
    »Ja, natürlich. Nur weiß nicht immer jeder, was das ist. Manch einer tut Böses, wenn er Gutes tun will. Wäre auch mal interessant zu diskutieren, ob das dann böse ist, wenn einer es gut meint. Gibt es subjektiv Böses? Oder objektiv Böses? Aber das führt wohl zu weit. Ich sinne selbst schon zu lange darüber nach. Krieg ich das Radio?«
    »Ich …«
    »Büüüütte. Ich brauche es wirklich. Ich habe gerade heute noch viel zu tun.« Er lacht. »Und es gäbe keinen Zweifel daran, dass es eine gute Tat wäre. Geradezu christlich.«
    »Jesus …«
    »Jesus hätte mir sein Radio schon gegeben. Der Kerl hat ja sogar seine Unterwäsche verschenkt.«
    »So können Sie nicht von Jesus sprechen. Er hat unsere Seelen erlöst!«
    »Genau genommen wäre das auch die Entscheidung eines jeden Menschen gewesen, oder? Aber, ja, der Kerl war beeindruckend. Sogar richtig in Ordnung. Wenn die Leute auf ihn hören würden, wäre das schon besser für die Welt. Aber sie tun es nicht. Auch wieder ihre Entscheidung. Als Jesus starb, hat der Alte wohl auch aufgegeben. Sendepause, seit zweitausend Jahren. Er meinte wohl, genug sei genug. Ich verstehe ihn nicht, er sollte die Menschen doch am besten kennen. Er hat sie schließlich erschaffen. Aber vielleicht hat er recht. Ihr habt ihn immerhin noch nicht vergessen. Jesus, meine ich. Und jetzt feiert ihr seine Geburt, indem ihr lieb, nett und freundlich seid. Nur eines ist den meisten Menschen unklar: Jesus war nicht nur an seinem Geburtstag nett und freundlich, sondern auch an jedem anderen Tag. Weihnachten ist nicht nur ein Datum. Es ist eine Entscheidung. Die Entscheidung, anderen zu helfen, sich des Guten und des Richtigen zu besinnen, die richtige Entscheidung auch für andere zu treffen. Sich selbst und anderen zu verzeihen, zu vergeben. Das ist Weihnachten … und dafür braucht man kein Kalenderblatt. Weihnachten kann man jeden Tag feiern, man muss es nur wollen. Gut sein, zuvorkommend sein, anderen helfen. Funktioniert jeden Tag. Leuchtet ein? Gut. Wie wäre es jetzt mit dem Radio?«
    »Es ist alles, was ich besitze«, sagt sie. »Ohne das Radio bin ich so alleine.«
    »Hhm. Auch wieder eine Entscheidung! Das Dorf ist vier Minuten zu Fuß entfernt. Dort wohnen andere Menschen, die auch Weihnachten feiern … Also geh hin und klopf an eine Tür, es wird dir aufgetan. Wenigstens heute. Wer weiß schon, was morgen ist? Vielleicht sieht man dich gerne dort, und die Türe bleibt für dich geöffnet!«
    »Wer will denn schon eine blinde Frau als Gast empfangen?«
    »Ein guter Mensch«, antwortet er sofort. »Es wäre die Entscheidung des Hausherrn. Seine freie Entscheidung, und du solltest nicht vorwegnehmen, dass er falsch entscheidet. Es gibt Menschen, die sich richtig entscheiden. Richtig wäre es, dir die Türe zu öffnen und dich zum Fest einzuladen.« Er lacht. »Ich würde dich reinlassen.«
    Sie seufzt. Schön, wenn es so wäre.
    »Sie brauchen das Radio also wirklich?«, fragt sie dann.
    Er erwidert nichts.
    »Hallo?«, fragt sie.
    »Verdammt! Oh, Verzeihung. Ich soll ja nicht fluchen. Ich habe genickt, das konntest du nicht sehen. Ja, ich brauche es.«
    »Gut«, erwidert sie leise. »Nehmen Sie es. Denn man soll auch Geben können, wenn es einem

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