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Das Fest der Zwerge

Das Fest der Zwerge

Titel: Das Fest der Zwerge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Polzin
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und rieb sein klingendes Ohr. »Kommen wir zum letzten Punkt: warmer, wohltönender Gesang.«
    Brams rutschte das Herz in die Hose. Auf diese Kleinigkeit hatte in der Aufregung keiner von ihnen mehr geachtet! Er kämpfte gegen die Versuchung an, hilfeheischend nach seinen Begleitern zu schielen. Unerwartet ergriff Riette das Wort.
    »Wohltönend – dass ich nicht lache!«, sagte sie abfällig. »Eine solch schöne Stimme wie ich hat er nicht!« Umgehend begann sie so falsch zu singen, wie Brams es nicht für möglich gehalten hätte. Von überall her war das nervöse Klappern eiligst zugeschlagener Türen und Fensterläden zu hören. Auch der Himmel erschien Brams plötzlich wie leer gefegt. Keine Vögel, keine Schmetterlinge, keine Käfer – nichts, was auch nur ansatzweise befähigt war, Töne zu vernehmen, war mehr zu erblicken. Moin beharrte schließlich nicht mehr darauf, diesen Punkt zu überprüfen. Sowieso war sich Brams sicher, dass auf etliche Tage hinaus keiner von ihnen mehr unterscheiden können würde, ob eine Melodie harmonisch klang oder nicht.
    »Dann hätten wir es doch wieder einmal«, sagte Moin zufrieden und schloss das Buch.
    »Wer hat ihn eigentlich bestellt?«, erkundigte sich Brams beiläufig.
    »Die Alwen«, erklärte Moin.
    »Die Alwen? Ach ja? Du machst neuerdings viele Geschäfte mit den Alwen, Moin-Moin. Dabei sind sie doch sehr pingelig?«
    Moin lachte herzhaft. »Die und pingelig? Im Gegenteil, Brams! Das sind meine liebsten Kunden. Sie beschweren sich nie. Ich vermute, dass sie alles, womit sie nicht zufrieden sind, einfach mit jemand anderem tauschen.«
    »So? Sie geben es also weiter? So, so«, sprach Brams strahlend. »Das sind wirklich sehr angenehme Kunden!«
     
    *
     
    Das Letzte, woran sich Ritter Chlodekrieg klar erinnerte, waren seine kleinwüchsigen Besucher. Sollte er sie jemals wiedertreffen – das hatte er sich geschworen! –, so wollte er einem nach dem anderen das Hälschen brechen und sich danach vor Kummer betrinken, weil jeder von ihnen nur ein einziges besessen hatte. Doch alle späteren Erinnerungen waren undeutlich und flüchtig. Er war fremdartigen und seltsamen Wesen begegnet: kleinen, durchscheinenden und großen, groben mit ledrigen Schwingen. Manche hatten Stimmen wie Peitschenschläge gehabt, andere nach salziger See gerochen. Er hatte nackte mit furchtbaren Zähnen und spitzen Krallen gesehen, und solche, die völlig unbewehrt waren und dennoch weitaus bedrohlicher wirkten. Sie hatten alle etwas von ihm gewollt und ihn dann unzufrieden an die Nächsten weitergegeben, als sie es nicht bekamen.
    Und nun fand sich Chlodekrieg auf einem verschneiten, nur wenige Dutzend Schritt durchmessenden Plateau wieder. Schlanke Säulen und einzeln stehende Bögen ließen ihn vermuten, dass sich hier während der warmen Jahreszeiten ein Rosengarten befand. Er zupfte aus Gewohnheit an dem langen Bart, von dem er nicht wusste, wann er ihm gewachsen war, und dessen Strähnen sich so ganz und gar nicht nach Haaren anfühlten. Verdrossen ging er zum Rand der kreisrunden Ebene, trat aber rasch wieder einen Schritt zurück, als er sah, dass der Fels senkrecht abfiel. Vorsichtig spähte er in die Tiefe. Ein ganzes Stück unter sich entdeckte er einen breiten Sims, der die Felssäule umrandete. Darunter machte er noch zwei zusätzliche Simse aus. Anscheinend befand er sich auf der Spitze einer runden Stufenpyramide.
    Chlodekrieg setzte sich in den Schnee, legte den Kopf in den Nacken und schaute hinauf zu dem verwaschenen Himmel, an dem selbst die Sonne nur ein etwas hellerer, grauer Fleck war. Auch die Wolken waren nichts weiter als unscharfe, aschfarbene Schatten. Wahrscheinlich würde es heute noch schneien, dachte Chlodekrieg nebenbei. Doch wie war er hierhergekommen? Eine Treppe hatte er nicht gefunden. Hatten ihn also die Schwingen riesiger Vögel auf diese Spitze getragen? Doch wozu, wenn das Einzige, was es hier gab, Mauerreste waren, die erst dann wieder eine Aufgabe erfüllten, wenn die Kälte gewichen war und die Zeit der Blüte begann?
    Aber es war gar nicht kalt!
    Diese Erkenntnis kam Chlodekrieg völlig überraschend. Obwohl er im Schnee saß, spürte er keine Kälte! Er hob die Hand vors Gesicht, betrachtete misstrauisch das Weiß, das an ihr klebte, und leckte daran. Er schmeckte süß und überhaupt nicht wässrig. Eher fettig. Chlodekrieg sprang auf. Wo war er?
    »Er singt nicht!«, hörte er unvermittelt eine Stimme über sich. »Darf ich,

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