Das Fest des Ziegenbocks
neuesten Automodelle rollten.
Als er auf seine Uhr schaute, war es Viertel nach fünf. Seit
zwei Stunden lief er jetzt und verging vor Durst. Er war in der Casimiro de Moya, zwischen Pasteur und Cervantes, wenige Meter von einem Lokal entfernt: El Turey. Er ging hinein und setzte sich an den ersten Tisch. Er bestellte ein schön kaltes Bier Presidente. Es gab keine Klimaanlage, aber Ventilatoren, und im Halbdunkel saß es sich gut. Der lange Marsch hatte ihn beruhigt. Was würde aus ihm werden? Und aus Uranita? Was würde aus dem Mädchen, wenn sie ihn ins Gefängnis steckten oder der Chef in einer plötzlichen Anwandlung befehlen würde, ihn umzubringen? Wäre Adelina fähig, sie zu erziehen, ihr die Mutter zu ersetzen? Ja, seine Schwester war eine gute, großherzige Frau. Uranita wäre für sie eine Tochter mehr, wie Lucindita und Manolita.
Er ließ sich das Bier schmecken, während er auf der Suche nach dem Zitat von Ortega y Gasset in seinem Notizbuch blätterte. Die kalte Flüssigkeit, die durch seine Eingeweide rann, war wohltuend. Nicht die Hoffnung verlieren. Der Alptraum konnte ein Ende haben. Passierte das nicht zuweilen? Er hatte dem Chef drei Briefe geschickt. Sie waren offen, ohne Scham, zeigten ihm seine Seele. Baten ihn um Verzeihung für den möglicherweise begangenen Fehler, schworen, daß er alles tun würde, um ihn wiedergutzumachen und seine Schuld abzutragen, falls er sich durch eine leichtfertige oder unbewußte Handlung gegen ihn vergangen habe. Er erinnerte ihn an die langen Jahre des bedingungslosen Einsatzes, an seine absolute Ehrlichkeit, wie dieTatsache bewies, daß er jetzt, nachdem man seine Guthaben bei der Reservebank eingefroren hatte – etwa Zweihunderttausend Pesos, die Ersparnisse eines ganzen Lebens – , auf der Straße stand, gerade noch im Besitz des kleinen Hauses in Gazcue. (Er hatte ihm nur die in der New Yorker Chemical Bank deponierten fünfundzwanzigtausend Dollar verheimlicht, die er für einen Notfall aufbewahrte.) Trujillo war ohne Zweifel großzügig. Gewiß, er konnte grausam sein, wenn das Land es erforderte. Aber auch großzügig, großherzig wie jener Petronius in Quo Vadis?, den er immer zitierte. Jeden Au genblick konnte er ihn in den Regierungspalast oder in die Villa Radhamés rufen. Sie würden eine theatralische Aussprache haben, wie sie dem Chef gefielen. Alles würde sich klären. Er würde ihm sagen, daß Trujillo für ihn nicht nur der Chef, der Staatsmann, der Gründer der Republik war, sondern ein menschliches Vorbild, ein Vater. Der Alptraum wäre zu Ende. Wie durch einen Zauber würde sein vorheriges Leben wieder beginnen. Da war das Zitat von Ortega y Gasset, in der Ecke einer Seite, mit seiner kleinen Schrift geschrieben: »Nichts von dem, was der Mensch gewesen ist, ist oder sein wird, ist er für immer gewesen, ist er für immer oder wird er für immer sein, denn er ist es eines Tages geworden und wird es eines Tages nicht mehr sein.« Er war ein lebendes Beispiel für das Prekäre der Existenz, auf das diese Philosophie verwies.
An einer Wand des Lokals kündigte ein Plakat ab sieben Uhr abends das Klavier des Meisters Enriquillo Sánchez an. Zwei Tische waren besetzt, mit Paaren, die miteinander flüsterten und sich verliebt in die Augen schauten. ›Mich des Verrats zu beschuldigen, mich.‹ Ihn, der Trujillos wegen auf die Vergnügungen, die Zerstreuungen, das Geld, die Liebe, die Frauen verzichtet hatte. Jemand hatte auf einem nahen Stuhl ein Exemplar von La Nation liegen lassen. Er griff nach der Zeitung und blätterte in ihr, um seine Hände zu beschäftigen. Auf der dritten Seite verkündete eine umrahmte Meldung, daß der illustre, allseits geachtete Botschafter Don Manuel Alfonso aus dem Ausland zurückgekehrt sei, wohin er sich aus Gesundheitsgründen begeben hatte. Manuel Alfonso! Niemand hatte direkteren Zugang zum Chef, der ihn auszeichnete und ihm die intimsten Angelegenheiten anvertraute, angefangen bei seiner Garderobe und seinen Parfüms bis hin zu seinen galanten Abenteuern. Manuel war sein Freund, er schuldete ihm manchen Gefallen. Er konnte die Schlüsselperson sein.
Er zahlte und ging hinaus. Die Wanne war nicht da. Hatte er sie abgehängt, ohne es zu merken, oder hatte die
Verfolgung aufgehört? In seiner Brust keimte ein Gefühl von Dankbarkeit, von freudiger Hoffnung.
XIV
Der Wohltäter betrat das Büro von Dr. Joaquín Balaguer um fünf Uhr, wie er es von Montag bis Freitag tat, seitdem er vor neun Monaten, am
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