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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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3. August 1960, in einem Versuch, die Sanktionen der OAS zu vermeiden, seinen Bruder Negro zum Rücktritt veranlaßt und der leutselige, beflissene Dichter und Jurist das Amt des Präsidenten der Republik übernommen hatte, der jetzt aufgestanden war und auf ihn zukam, um ihn zu begrüßen. »Guten Tag, Exzellenz.«
    Nach dem Mittagessen für das Ehepaar Gittleman hatte der
    Generalissimus eine halbe Stunde geruht, sich umgezogen – er trug einen Anzug aus feinstem weißem Leinen – und bis vor wenigen Minuten einige laufende Angelegenheiten mit seinen vier Sekretären erledigt. Sein Gesicht war mißmutig, und er kam gleich zur Sache, ohne seinen Ärger zu verbergen:
    »Haben Sie vor zwei Wochen die Ausreise von Agustín Cabrals Tochter ins Ausland genehmigt?« Die kurzsichtigen Augen des kleinen Dr. Balaguer blinzelten hinter den dicken Augengläsern. »In der Tat, Exzellenz. Uranita Cabral, ja. Die Dominican Nuns haben ihr ein Stipendium für ihre Universität in Michigan gegeben. Das Mädchen mußte so rasch wie möglich reisen, wegen einiger Prüfungen. Das erklärte mir die Direktorin, auch der Erzbischof Ricardo Pittini interessierte sich für die Angelegenheit. Ich dachte, diese kleine Geste könnte ein Brückenschlag zur Kirche sein. Ich habe Ihnen alles in einem Memorandum erklärt, Exzellenz.«
    Der kleine Mann sprach mit der gewohnten sanften Güte und einem Anflug von Lächeln in seinem runden Gesicht, seine Aussprache war perfekt wie die eines Hörspielsprechers oder eines Phonetiklehrers. Trujillo blickte ihn forschend an, versuchte, aus seinem Gesichtsausdruck, aus der Form seines Mundes, aus seinen umherhuschenden kleinen Augen das geringste Zeichen, irgendeine Anspielung herauszulesen. Trotz seines grenzenlosen Mißtrauens bemerkte er nichts; natürlich, der Marionettenpräsident war ein zu versierter Politiker, um sich durch seine Mimik zu verraten. »Wann haben Sie mir dieses Memorandum geschickt?« »Vor zwei Wochen, Exzellenz. Nach der Demarche des Erzbischofs Pittini. Ich habe Ihnen erklärt, daß ich dem Mädchen angesichts der Dringlichkeit der Reise die Erlaubnis erteilen würde, es sei denn, Sie hätten etwas dagegen einzuwenden. Da ich keine Antwort von Ihnen erhielt, habe ich gehandelt. Sie hatte schon das Visum der Vereinigten Staaten.«
    Der Wohltäter nahm Platz gegenüber dem Schreibtisch Balaguers und forderte ihn auf, es ihm gleichzutun. In diesem Amtszimmer im zweiten Stock des Regierungspalastes fühlte er sich wohl; es war geräumig, luftig, nüchtern, mit Regalen voller Bücher, mit glänzender Boden- und Wandtäfelung und einem immer tadellos aufgeräumten Schreibtisch. Man konnte nicht sagen, daß der Marionettenpräsident ein eleganter Mann gewesen wäre (wie hätte er es sein können mit dieser kurzgeratenen, fülligen Figur, die aus ihm nicht nur einen kleinwüchsigen Mann, sondern fast einen Zwerg machte?), aber er kleidete sich so korrekt, wie er sprach, respektierte das Protokoll und war ein unermüdlicher Arbeiter, für den weder Feiertage noch feste Arbeitszeiten existierten.Trujillo sah, daß Balaguer beunruhigt war: er wußte, daß er möglicherweise einen schweren Irrtum begangen hatte, als er der Tochter Cerebritos diese Erlaubnis erteilte. »Ich habe dieses Memorandum erst vor einer halben Stunde zu Gesicht bekommen«, sagte Trujillo vorwurfsvoll. »Es könnte verlorengegangen sein. Aber das würde mich wundern. Meine Papiere sind immer in bester Ordnung. Keiner der Sekretäre hat es bislang gesehen. Also hat es irgendein Freund Cerebritos verlegt, weil er fürchtete, ich würde die Erlaubnis verweigern.«
    Dr. Balaguer setzte eine konsternierte Miene auf. Er hatte den Körper vorgereckt und den kleinen Mund geöffnet, aus dem sanfte Arpeggien und zarte Koloratur-Töne kamen, wenn er deklamierte, und hochtönende und sogar wütende Sätze bei seinen politischen Ansprachen. »Ich werde gründliche Nachforschungen anstellen, um herauszufinden, wer das Memorandum zu Ihrem Büro gebracht und wem übergeben hat. Ich habe mich zweifellos übereilt. Ich hätte persönlich mit Ihnen sprechen sollen. Ich bitte Sie um Entschuldigung für dieses Fehlverhalten.« Seine kleinen dicken Hände mit kurzgeschnittenen Nägeln, öffneten und schlössen sich betrübt. »Um die Wahrheit zu sagen, ich dachte, die Angelegenheit sei nicht weiter von Bedeutung. Sie sagten uns im Ministerrat, die Situation Cerebritos betreffe nicht die Familie.« Er brachte ihn mit einer Kopfbewegung zum

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