Das Fest des Ziegenbocks
als sämtliche Regierungen der Republik seit 1844. Aber der Generalissimus sei zu klug und realistisch, um den unbesonnenen, unpolitischen Ratschlägen des Chefs des SIM zu folgen, die im Fall ihrer Anwendung verheerende Folgen für die Nation haben würden. Er sprach ohne Hast, mit einem Rhythmus, der, zusammen mit seiner sauberen Aussprache, einlullend wirkte.
»Sie sind die Person in der Regierung, die Abbes García am meisten haßt«, unterbrach er ihn. »Warum?« Dr. Balaguer trug die Antwort auf der Zunge. »Der Oberst ist ein Fachmann in Sicherheitsfragen und leistet dem Staat gute Dienste«, erwiderte er. »Aber seine politischen Urteile sind im allgemeinen verstiegen. Mit aller Achtung und Bewunderung, die ich Eurer Exzellenz entgegenbringe, erlaube ich mir, Sie aufzufordern, diese Ideen zu verwerfen. Die Ausweisung und, schlimmer noch, der Tod von Reilly und Panal würden eine neue militärische Invasion zur Folge haben. Und das Ende der Ära Trujillo.« Da sein Ton so sanft und freundlich war und die Musik seiner
Worte so angenehm, schien es, als hätten die Dinge, die Dr. Joaquín Balaguer sagte, nicht die Urteilskraft und Strenge, die der kleine Mann sich bisweilen, so wie jetzt, gegenüber dem Chef herausnahm. Überschritt er das Maß? War er, wie Cerebrito, so dumm, sich in Sicherheit zu wiegen, und brauchte auch er ein Bad in der Wirklichkeit? Eine seltsame Gestalt, dieser Joaquín Balaguer. Er war an seiner Seite, seitdem er 1930 zwei Polizisten ausgeschickt hatte, um ihn in dem kleinen Hotel Santo Domingo abzuholen, in dem er logierte, und ihn einen Monat lang bei sich zu Hause aufgenommen hatte, damit er ihm beim Wahlkampf zur Hand ginge, in dem der Caudillo aus Cibao, Estrella Ureña, den der junge Balaguer glühend verehrte, sein kurzlebiger Verbündeter war. Eine Einladung und eine halbstündige Unterhaltung hatten genügt, um den vierundzwanzigjährigen Dichter, Lehrer und Anwalt, der in dem unansehnlichen kleinen Ort Navarrete geboren war, in einen bedingungslosen Trujillo-Anhänger zu verwandeln, in einen kompetenten, diskreten Diener in allen diplomatischen, administrativen und politischen Ämtern, die er ihm anvertraute. Trotz der dreißig Jahre an seiner Seite war die unauffällige Gestalt, die Trujillo deshalb eine Zeitlang »den Schatten« genannt hatte, in Wahrheit noch immer ein Rätsel für ihn, der sich damit brüstete, für Menschen die Nase eines Spürhunds zu haben. Eine der wenigen Gewißheiten, die er in bezug auf ihn hegte, war sein mangelnder Ehrgeiz. Im Unterschied zu den anderen Angehörigen des inneren Zirkels, deren Gelüste er wie in einem offenen Buch an ihren Verhaltensweisen, Initiativen und Schmeicheleien ablesen konnte, hatte Joaquín Balaguer immer den Eindruck auf ihn gemacht, als strebe er nur nach dem, was er ihm zu geben gewillt war. Auf den diplomatischen Posten in Spanien, Frankreich, Kolumbien, Honduras, Mexiko oder im Erziehungs-, Präsidentschafts- oder Außenministerium wirkte er beglückt, benommen angesichts der Aufgaben, die seine Träume und seine Fähigkeiten überstiegen und denen er aus ebendiesem Grund in furchtloser Weise gerecht zu werden suchte. Aber – so fiel dem Wohltäter plötzlich ein – dank dieser Bescheidenheit war der kleine Dichter und Rechtsgelehrte immer an der Spitze gewesen und hatte aufgrund seiner Bedeutungslosigkeit niemals Zeiten durchgemacht, in denen er, wie die anderen, in Ungnade gefallen war. Deshalb war er der Marionettenpräsident. Als es 1957 galt, auf der von seinem Bruder Negro Trujillo angeführten Liste einen Vizepräsidenten zu designieren, hatte die Dominikanische Partei, seinen Befehlen folgend, den Botschafter in Spanien, Rafael Bonnelly gewählt. Doch plötzlich beschloß der Generalissimus, diesen Aristokraten durch den unbedeutenden Balaguer zu ersetzen, mit einem schlagenden Argument: »Dem fehlt es an Ehrgeiz.« Aber jetzt war dieser Intellektuelle mit taktvollen Manieren und feinsinniger Rede dank seines mangelnden Ehrgeizes der erste Mandatar der Nation und erlaubte sich, gegen den Chef des Geheimdienstes vom Leder zu ziehen. Man würde ihn irgendwann einmal vom hohen Roß herunterholen müssen.
Balaguer verharrte still und stumm; er wagte nicht, seine Gedanken zu unterbrechen, und wartete darauf, daß er sich herabließe, das Wort an ihn zu richten. Das tat er schließlich, aber ohne auf das Thema der Kirche zurückzukommen:
»Ich habe Sie immer gesiezt, nicht wahr? Sie sind der
einzige meiner
Weitere Kostenlose Bücher