Das Fest des Ziegenbocks
Mitarbeiter, den ich nie geduzt habe. Fällt
Ihnen das nicht auf?«
Das runde Gesicht wurde rot.
»In der Tat, Exzellenz«, murmelte er beschämt. »Ich frage mich immer, ob Sie mich nicht duzen, weil Sie weniger Vertrauen in mich haben als in meine Kollegen.« »Erst in diesem Augenblick wird mir das klar«, fügte Trujillo überrascht hinzu. »Und auch, daß Sie nie Chef zu mir sagen, wie die anderen. Trotz all dieser gemeinsamen Jahre sind Sie für mich ein ziemliches Rätsel. Ich habe nie menschliche Schwächen bei Ihnen entdecken können, Dr. Balaguer.«
»Ich habe sie zuhauf, Exzellenz«, lächelte der Präsident. »Aber das hört sich nicht wie ein Lob an, Sie scheinen es mir vorzuwerfen.«
Der Generalissimus scherzte nicht. Er schlug die Beine übereinander und setzte sich dann wieder gerade hin, ohne den stechenden Blick von Balaguer zu wenden. Er fuhr sich mit der Hand über den kleinen Bart und die trockenen Lippen. Sein Blick forschte ihn hartnäckig aus. »Es ist etwas Unmenschliches an Ihnen«, sinnierte er, als wäre der Gegenstand seines Kommentars nicht anwesend. »Ihnen fehlen die natürlichen Gelüste der Menschen. Soviel ich weiß, haben Sie nichts für Frauen übrig und auch nichts für junge Männer. Sie führen ein keuscheres Leben als Ihr Nachbar auf der Avenida Máximo Gómez, der Nuntius. Abbes García hat keine Geliebte, keine Freundin, keine Ausschweifung in Ihrem Leben entdeckt. Das Bett interessiert Sie also nicht. Geld auch nicht. Sie haben kaum Ersparnisse; abgesehen von dem kleinen Haus, in dem Sie leben, haben Sie kein Eigentum, keine Aktien, keine Investitionen, zumindest nicht hier. Sie waren nie in die Intrigen und heftigen Kriege verwickelt, in denen meine Mitarbeiter verbluten, obwohl alle gegen Sie intrigieren. Ich mußte Ihnen die Ministerien, die Botschaften, die Vizepräsidentschaft und sogar die jetzige Präsidentschaft geradezu aufdrängen. Wenn ich Sie absetze und auf einen verlorenen kleinen Posten in Montecristi oder Azua schicke, würden Sie genauso froh dorthin ziehen. Sie trinken nicht, rauchen nicht, essen nicht, laufen weder den Frauen noch dem Geld, noch der Macht hinterher. Sind Sie so? Oder ist dieses Verhalten eine Strategie mit einem geheimen Ziel?«
Das glattrasierte Gesicht von Dr. Balaguer glühte erneut. Seine sanfte kleine Stimme wankte nicht, als er erklärte: »Seitdem ich Exzellenz an jenem Morgen im April 1930 kennengelernt habe, bestand mein einziges Laster darin, Ihnen zu dienen. Seit jenem Augenblick wußte ich, daß ich meinem Land diente, indem ich Trujillo diente. Das hat mein Leben bereichert, mehr als es eine Frau, Geld oder Macht hätten tun können. Ich werde nie Worte genug finden, um Exzellenz zu danken, das Sie mir erlaubt haben, an Ihrer Seite zu arbeiten.«
Bah, die ewiggleichen Schmeicheleien, wie sie jeder weniger belesene Trujillo-Anhänger von sich gegeben hätte. Einen Augenblick lang hatte er sich vorgestellt, daß die harmlose kleine Person ihm, wie im Beichtstuhl, ihr Herz öffnen und ihre Sünden, Ängste, feindseligen Gefühle, Träume offenbaren würde. Vielleicht hatte er ja gar kein geheimes Leben und seine Existenz war die allseits bekannte: der genügsame, arbeitsame Beamte, zäh und phantasielos, der den Ideen des Generalissimus in schönen Reden, Proklamationen, Briefen, Abkommen, Ansprachen, diplomatischen Verhandlungen Gestalt gab, und der Dichter, der Akrosticha und Lobgesänge auf die Schönheit der dominikanischen Frau und die Landschaft von Quisqueya verfaßte, die Dichterwettbewerbe, Abreißkalender, Miß-Wahlen und patriotische Feierlichkeiten verschönerten. Ein kleiner Mann ohne eigene Leuchtkraft, wie der Mond, denTrujillo, das Sonnengestirn, erleuchtete.
»Ich weiß, Sie sind ein guter Gefährte gewesen«, erklärte der Wohltäter. »Seit jenem Morgen im April 1930, ja. Ich ließ Sie auf den Vorschlag meiner damaligen Frau Bienvenida rufen. Eine Verwandte von Ihnen, nicht?« »Meine Cousine, Exzellenz. Dieses Mittagessen damals entschied über mein Leben. Sie luden mich ein, Sie auf der Wahlreise zu begleiten. Sie beehrten mich mit der Bitte, ich möge Sie auf den Kundgebungen in San Pedro de Macorís, in der Hauptstadt und in La Romana vorstellen. Das war mein Debüt als politischer Redner. Mein Schicksal nahm fortan eine andere Wendung. Bis dahin hatte ich mich zur Literatur, zum Lehrberuf, zur Rechtsprechung berufen gefühlt. Dank Ihnen setzte sich die Politik an die Spitze.«
Ein Sekretär klopfte
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