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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gestand er. »War es eine göttliche Entscheidung? Warum ich? Warum fiel die Wahl auf mich?« Dr. Balaguer befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze, bevor er antwortete:
    »Gottes Entscheidungen sind unabwendbar«, sagte er salbungsvoll. »Gewiß lag es an Ihren außergewöhnlichen Führungsqualitäten und an Ihrer Arbeitsfähigkeit und vor allem an Ihrer Liebe zu diesem Land.« Warum verlor er seine Zeit mit diesem Blödsinn? Es gab dringende Angelegenheiten. Dennoch hatte er seltsamerweise das Bedürfnis, diese vage, nachdenkliche, persönliche Unterhaltung zu verlängern. Warum mit Balaguer? Er war im Zirkel der Mitarbeiter derjenige, mit dem er die wenigsten Vertraulichkeiten geteilt hatte. Er hatte ihn nie zu den privaten Abendessen in San Cristóbal, im Mahagonihaus, eingeladen, wo der Branntwein in Strömen floß und es zu manchen Exzessen kam. Vielleicht weil er ihn als einziger der Horde von Intellektuellen und Literaten bislang nicht enttäuscht hatte. Und weil er als intelligent galt (obwohl er Abbes García zufolge eine schmutzige Aura besaß).
    »Meine Meinung über Intellektuelle und Literaten ist immer schlecht gewesen«, wiederholte er. »In der Rangfolge der Verdienste stehen die Militärs an erster Stelle. Sie tun ihre Pflicht, intrigieren wenig, rauben einem nicht die Zeit. Danach kommen die Bauern. In den Häusern und Hütten der Zuckermühlen finden sich die gesunden, arbeitsamen, ehrbaren Menschen dieses Landes. Dann die Beamten, Unternehmer, Kaufleute. Literaten und Intellektuelle zum Schluß. Sogar noch nach den Pfaffen. Sie sind eine Ausnahme, Dr. Balaguer. Doch die anderen! Lumpenpack. Sie haben die meisten Begünstigungen erhalten und dem Regime, das sie genährt, gekleidet und mit Ehren überhäuft hat, den größten Schaden zugefügt. Die Spanier zum Beispiel, wie JoséAlmoina oder Jesus de Galíndez. Wir haben ihnen Asyl und Arbeit gegeben. Erst haben sie geschmeichelt und gebettelt und dann verleumdet und Gemeinheiten geschrieben. Und Osorio Lizarazo, der hinkende Kolumbianer, den Sie geholt haben? Er kam, um meine Biographie zu schreiben, mich in den Himmel zu heben, wie ein
    König zu leben; er kehrte mit vollen Taschen nach Kolumbien zurück und wurde Trujillo-Gegner.« p? Ein weiteres Verdienst Balaguers bestand darin, zu wissen, wann er besser nicht redete und sich in eine Sphinx verwandelte, vor der der Generalissimus sich erlauben konnte, seinem Herzen Luft zu machen. Trujillo verstummte. Er spitzte die Ohren auf der Suche nach dem Geräusch der metallisch glänzenden Oberfläche mit parallelen, schaumigen Linien, die er durch die Fenster erblickte. Aber es gelang ihm nicht, das Meeresrauschen zu hören, das vom Motorenlärm der Autos übertönt wurde. »Glauben Sie, daß Ramón Marrero Aristy Verrat begangen hat?« fragte er unvermittelt und machte damit die stumme Präsenz wieder zum Gesprächspartner. »Daß er diesem Gringo der New York Times Information zukommen ließ, damit er uns angreifen konnte?«
    Dr. Balaguer ließ sich nie von diesen plötzlichen Fragen Trujillos überrumpeln, die verfänglich und gefährlich waren und andere in die Enge trieben. Er wußte sich bei solchen Gelegenheiten zu behelfen:
    »Er hat geschworen, daß er es nicht getan hat, Exzellenz. Mit Tränen in den Augen saß er dort, wo Sie jetzt sitzen, und schwor mir bei seiner Mutter und allen Heiligen, daß er nicht der Informant von Tad Szulc gewesen ist.« Trujillo reagierte mit einer irritierten Geste: »Würde Marrero vielleicht hierherkommen, um Ihnen zu gestehen, daß er sich verkauft hat? Ich frage Sie nach Ihrer Meinung. Hat er Verrat begangen oder nicht?« Balaguer wußte auch, wann ihm nichts anderes übrigblieb, als ins kalte Wasser zu springen; eine weitere Tugend, die der Wohltäter ihm zugute hielt.
    »Es tut mir in der Seele weh, weil ich Ramón in intellektueller und persönlicher Hinsicht geschätzt habe, aber ich glaube, so ist es, er hat Tad Szulc informiert«, sagte er sehr leise, fast unhörbar. »Die Beweise waren erdrückend, Exzellenz.«
    Zu diesem Schluß war auch er gelangt. Obwohl er sich in den
    dreißig Jahren seiner Regierungzeit – und früher, als er der Konstablerwache angehörte, und noch früher, als Vorarbeiter verschiedener Zuckermühlen – angewöhnt hatte, seine Zeit nicht damit zu verlieren, zurückzuschauen und bereits getroffene Entscheidungen zu bejammern oder zu bejubeln, kehrte die Sache mit Ramón Marrero Aristy, diesem »genialen Ignoranten«,

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