Das Fest des Ziegenbocks
›Aber wenn ich doch sterben will‹, dachte Pedro Livio. Gerenne, hastige Schritte, Türenschlagen. Das Zimmer war wieder voll geworden, und unter den eben Eingetroffenen befand sich erneut Oberst Figueroa Carrión: »Wir haben eine Zahnbrücke auf der Straße gefunden, nah beim Chevrolet Seiner Exzellenz. Sein Zahnarzt, Doktor Fernando Camino Certero, untersucht sie gerade. Ich selbst habe ihn geweckt. In einer halben Stunde wird er uns Bericht erstatten. Auf den ersten Blick schien sie ihm dem Chef zu gehören.«
Seine Stimme war düster. Auch das Schweigen, mit dem die anderen ihm zuhörten.
»Hat man nicht mehr gefunden?« Abbes García zerbaß die Worte beim Sprechen.
»Eine automatische Pistole Kaliber 45«, sagte Figueroa Carrión. »Es wird ein paar Stunden dauern, das Register zu prüfen. Und einen zurückgelassenen Wagen, etwa zweihundert Meter vom Attentat entfernt. Ein Mercury.« Pedro Livio sagte sich, daß Salvador recht daran getan hatte, wütend über Fifí Pastoriza zu sein, weil er seinen Mercury am Straßenrand hatte stehenlassen. Sie würden den Besitzer identifizieren, in kürzester Zeit würden die caliés ihre Kippen im Gesicht des Türken ausdrücken. »Hat er noch was ausgespuckt?«
»Balaguer, niemand Geringeres«, sagte Abbes García, durch die Zähne pfeifend. »Begreifst du? Der Kommandeur der Streitkräfte und der Präsident der Republik. Er sagte was von einer militärisch-zivilen Junta, in die sie Balaguer berufen würden, um die OAS zu beruhigen.« Oberst Figueroa Carrión ließ ein weiteres »verflucht« vom Stapel.
»Es ist eine Order, um uns in die Irre zu führen. Wichtige Namen nennen, alle Welt hineinziehen.« »Könnte sein, wir werden ja sehen«, sagte Oberst Abbes García. »Eines ist gewiß. Es sind viele Leute in die Sache verwickelt, hochrangige Verräter. Und natürlich die Geistlichen. Wir müssen Bischof Reilly aus der SantoDomingo-Schule herausholen. Im guten oder im bösen.« »Sollen wir ihn in die Cuarenta bringen?« »Dort werden sie ihn suchen, sobald sie es erfahren. Besser nach San Isidro. Nein, warte, es ist zu heikel, das muß man mit den Brüdern des Chefs besprechen. Wenn jemand nicht in die Verschwörung verwickelt sein kann, dann General Virgilio Garcia Trujillo. Geh und informier ihn persönlich.«
Pedro Livio hörte, wie sich die Schritte von Oberst Figueroa Carrión entfernten. War er jetzt allein mit dem Chef des SIM? Würde er weitere Zigaretten auf ihm ausdrücken? Aber das war es nicht, was ihn jetzt quälte. Sondern die Erkenntnis, daß die Dinge, obwohl sie den Chef getötet hatten, nicht wie geplant gelaufen waren. Warum übernahm Pupo nicht die Macht mit seinen Soldaten? Wie kam Abbes García dazu, den caliés zu befehlen, sie sollten den Bischof Reilly verhaften? Hatte dieser degenerierte Blutsauger noch immer das Sagen? Er war nach wie vor über ihm: er sah ihn nicht, aber da war dieser schwere Atem, der seine Nase und seinen Mund traf. »Noch ein paar Namen, und ich lass’ dich ausruhen«, hörte er ihn sagen.
»Er kann Sie weder hören noch sehen, Herr Oberst«, sagte Doktor Damirón Ricart flehend. »Er liegt im Koma.« »Dann operieren Sie ihn also«, sagte Abbes García. »Ich will ihn lebendig, hören Sie? Das Leben dieses Subjekts gegen das Ihre.«
»So viele können Sie mir nicht nehmen«, hörte Pedro Livio den Arzt seufzen. »Ich habe nur ein Leben, Herr Oberst.«
XVI
.»Manuel Alfonso?« Tante Adelina hebt die Hand ans Ohr, als hätte sie nicht verstanden, aber Urania weiß, daß die kleine Alte ein ausgezeichnetes Gehör hat und nur so tut, während sie ihre Fassung zurückzugewinnen sucht. Auch Lucinda und Manolita sehen sie mit weit aufgerissenen Augen an. Nur Marianita wirkt nicht betroffen. »Ja, er, Manuel Alfonso«, wiederholt Urania. »Ein Name wie von einem spanischen Eroberer. Hast du ihn gekannt, Tante?«
»Ich habe ihn mal gesehen«, nickt die kleine Alte, mißtrauisch und gekränkt. »Was hat er mit der Ungeheuerlichkeit zu tun, die du über Agustín gesagt hast?« »Er war der Playboy, der Trujillo die Frauen zuführte«, er
innert sich Manolita. »Nicht wahr, Mami?«
»Playboy, Playboy«, kreischt Samson. Aber dieses Mal
lacht nur die schlacksige Nichte.
»Er sah sehr gut aus, ein Adonis«, sagt Urania. »Vor dem Krebs.«
Er war der bestaussehende Dominikaner seiner Generadon gewesen, aber in den Wochen oder Monaten, in denen Agustín Cabral ihn nicht mehr gesehen hatte, war dieser Halbgott, der
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