Das Fest des Ziegenbocks
verstummt, weil das haitianische Dienstmädchen das Eßzimmer betritt. Es fragt in einem unsicheren, gemessenen Spanisch, ob man sie noch brauche oder ob sie schlafen gehen
könne. Lucinda gibt ihr mit einer Handbewegung zu verstehen: geh nur.
»Wer war Manuel Alfonso, Tante Urania?« fragt Marianita mit dünner Stimme.
»Ein Typ, eine Persönlichkeit. Ein schöner Mann aus bester Familie. Er ging nach New York, auf der Suche nach dem großen Leben, führte schließlich für Modeschöpfer und Luxusgeschäfte Anzüge vor und machte auf Werbeplakaten mit offenem Mund Reklame für Colgate, der Zahncreme, die Ihren Zähnen Frische, Sauberkeit und Glanz verleiht. Trujillo erfuhr bei einer Reise in die Vereinigten Staaten, daß der hübsche Bursche auf den Anzeigen ein dominikanischer Lebemann war. Er ließ ihn zu sich kommen und adoptierte ihn. Er machte eine Persönlichkeit aus ihm. Manuel Alfonso wurde sein Dolmetscher, denn er sprach perfekt Englisch; sein Lehrer für Protokoll und Etikette, denn er besaß Stil von Natur aus; und er erfüllte die äußerst wichtige Aufgabe, ihm die Anzüge, Krawatten, Schuhe, Strümpfe und die New Yorker Schneider auszuwählen, die ihn einkleideten. Er hielt ihn auf dem laufenden, was den letzten Schrei der männlichen Mode betraf. Und er half ihm, seine Uniformen zu entwerfen, ein Hobby des Chefs.«
»Vor allem suchte er die Frauen für ihn aus«, unterbricht Manolita sie. »Nicht wahr, Mami?«
»Was hat das alles mit meinem Bruder zu tun…« Die zornige kleine Faust richtet sich anklagend gegen sie. »Die Frauen waren das wenigste«, fahrt Urania fort, an ihre Nichte gewandt. »Trujillo bedeuteten sie nichts, denn er hatte sie alle. Die Anzüge und Accessoires dagegen bedeuteten ihm sehr viel. Dank Manuel Alfonso fühlte er sich exquisit, raffiniert, elegant. Wie der Petronius aus Quo Vadis?, den er immer zitierte.«
»Ich hab den Chef noch nicht gesehen, Agustín. Ich habe heute nachmittag Audienz, bei ihm zu Hause, in der Villa Radhamés. Ich werde mich erkundigen, das versprech ich dir.«
Er hatte ihn reden lassen, ohne ihn zu unterbrechen, und sich darauf beschränkt, zu nicken und zu warten, wenn dem Senator der Mut sank und Bitterkeit oder Angst ihm das Sprechen schwermachten. Er erzählte ihm, was geschehen war, was er gesagt, getan und gedacht hatte, seitdem vor zehn Tagen der erste Brief im Öffentlichen Forum erschienen war. Er entblößte sich vor diesem rücksichtsvollen Mann, dem ersten, der ihm seit jenem unheilvollen Tag mit Sympathie begegnete, und erzählte ihm intime Einzelheiten aus seinem Leben, das seit seinem zwanzigsten Lebensjahr dem Dienst am bedeutendsten Mann der dominikanischen Geschichte geweiht war. War es gerecht, daß er sich weigerte, jemanden anzuhören, der seit dreißig Jahren für und durch ihn lebte? Er war bereit, seine Fehler einzugestehen, wenn er sie begangen hatte. Eine Gewissensprüfung vorzunehmen. Für seine Verfehlungen zu bezahlen, wenn sie existierten. Aber der Chef sollte ihm wenigstens fünf Minuten gewähren. Manuel Alfonso klopfte ihm abermals aufs Knie. Das Haus, in einem neuen Viertel, Arroyo Hondo, gelegen, war riesig, umgeben von einem Park, und mit erlesenem Geschmack eingerichtet und dekoriert. Der Chef, unfehlbar, wenn es darum ging, verborgene Möglichkeiten bei Menschen aufzuspüren -eine Fähigkeit, die Agustín immer mit Bewunderung erfüllt hatte –, hatte den einstigen Dressman richtig eingeschätzt. Dank seines sympathischen Wesens und seiner Gewandtheit im Umgang mit Menschen bewegte sich Manuel Alfonso ungezwungen in der Welt der Diplomatie und konnte Vorteile für das Regime erlangen. Er hatte es bei allen Missionen getan, vor allem bei der letzten, in Washington, die in die schwierigste Zeit fiel, als sich Trujillo vom verhätschelten Kind der Yankee-Regierungen in einen Störfaktor verwandelt hatte, attackiert von der Presse und vielen Parlamentariern. Der Botschafter hob die Hand zum plötzlich schmerzverzerrten Gesicht.
»Ab und zu kommt der Peitschenhieb«, entschuldigte er sich. »An dieser Stelle. Ich hoffe, der Chirurg hat mir die Wahrheit gesagt. Daß sie ihn rechtzeitig erkannt haben. Neunzigprozentige Heilungschancen. Weshalb hätte er mich belügen sollen?
Die Gringos sind ziemlich direkt, sie haben nicht unser Zartgefühl, sie versüßen die bittere Pille nicht.« Er verstummt, weil sich sein verwüstetes Gesicht zu einer weiteren Grimasse verzerrt. Er reagiert sofort, wird ernst,
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