Das Fest des Ziegenbocks
Leichnam, das Gesicht zerstört durch das Geschoß, das ihm das Kinn zerschmettert hatte, schließlich auf dem nackten Tisch im Speisesaal des Regierungspalastes ausgestreckt lag, wo ein paar Stunden zuvor Simon und Dorothy Gittleman bewirtet worden waren. Man begann ihn zu entkleiden und zu waschen, damit ein Ärzteteam die sterblichen Überreste untersuchen und sie für die Totenwache vorbereiten konnte. Es war die Reaktion der Witwe, die ihn am meisten beeindruckte. Doña Maria Mar-tínez betrachtete die Leiche wie hypnotisiert, sehr aufrecht in ihren Schuhen mit Plateausohlen, in denen sie immer über dem Boden zu schweben schien. Ihre Augen waren geweitet und gerötet, aber sie weinte nicht. Plötzlich schrie sie, während sie mit den Händen gestikulierte: »Rache! Rache! Man muß sie alle töten!« Dr. Balaguer beeilte sich, ihr einen Arm um die Schultern zu legen. Sie entzog sich nicht. Er hörte sie tief und keuchend atmen. Krampfhaftes Zittern durchlief sie. »Sie werden dafür zahlen müssen, sie werden dafür zahlen müssen«, wiederholte sie. »Dafür werden wir Himmel und Hölle in Bewegung setzen, Doña Maria«, murmelte er an ihrem Ohr. In diesem Augenblick durchzuckte ihn ein Gedanke: Jetzt, in diesem Augenblick, mußte er das, was er bei der Vortrefflichen Dame bereits erreicht hatte, konsolidieren; danach wäre es zu spät. Er drückte liebevoll ihren Arm und führte Doña Maria Martínez, als wollte er sie von dem schmerzlichen Anblick befreien, in einen der kleinen Salons, die an den Speisesaal angrenzten. Kaum hatte er festgestellt, daß sie allein waren, schloß er die Tür.
»Doña Maria, Sie sind eine außergewöhnlich starke Frau«, sprach er auf sie ein. »Deshalb wage ich es, Ihre Trauer in einem so schmerzhaften Moment mit einer Angelegenheit zu stören, die Ihnen unangebracht erscheinen mag. Aber sie ist es nicht. Wenn ich so handle, dann aus Bewunderung und Zuneigung. Bitte, nehmen Sie Platz.« Das runde Gesicht der Vortrefflichen Dame betrachtete ihn mißtrauisch. Er lächelte sie traurig an. Es sei zweifellos impertinent, sie jetzt, wo ihre Seele mit einem grausamen Verlust beschäftigt sei, mit praktischen Dingen zu belästigen. Doch die Zukunft? Hatte Doña Maria nicht ein langes Leben vor sich? Wer wußte, was nach dieser Katastrophe geschehen konnte? Es sei unbedingt erforderlich, daß sie im Gedanken an die Zukunft gewisse Vorsichtsmaßnahmen ergreife. Seit Judas’ Verrat an Christus wisse man von der Undankbarkeit der Völker. Jetzt würde das Land Trujillo beweinen und gegen seine Mörder rasen. Aber wäre es morgen noch dem Chef treu verbunden? Und wenn nun das Ressentiment siegte, die nationale Krankheit? Er wolle nicht ihre Zeit vergeuden. Deshalb komme er zum Kern. Doña Maria müsse sich absichern, müsse die legitimen, von der Familie Trujillo mit Mühe erworbenen Besitztümer, die dem dominikanischen Volk überdies so großen Nutzen gebracht hatten, vor jeder Eventualität schützen. Und dies bevor etwaige politische Umstellungen später zum Hindernis würden. Dr. Balaguer schlug ihr vor, die Angelegenheit mit Senator Henry Chirinos zu besprechen, dem die Überwachung der Familiengeschäfte oblag, und zu prüfen, welcher Teil des Vermögens unverzüglich ohne große Verluste ins Ausland transferiert werden konnte. Dies lasse sich derzeit noch mit absoluter Diskretion bewerkstelligen. Der Präsident der Republik habe die Möglichkeit, Operationen dieser Art – zum Beispiel die Konvertierung dominikanischer Pesos in Devisen durch die Zentralbank – zu genehmigen, aber man könne nicht wissen, ob das später noch möglich wäre. Der Generalissimus habe solche Transaktionen seiner ausgeprägten Skrupel wegen immer abgelehnt. Diese Politik unter den gegenwärtigen Umständen beizubehalten sei, sie möge den Ausdruck verzeihen, Irrsinn. Es handle sich um einen freundschaftlichen, von Verehrung und Verbundenheit eingegebenen Rat.
Die Vortreffliche Dame hörte ihm schweigend zu, während sie ihm in die Augen schaute. Schließlich nickte sie dankbar:
»Ich wußte ja, daß Sie ein treuer Freund sind, Dr. Balaguer«, sagte sie selbstsicher.
»Ich hoffe, Ihnen das beweisen zu können, Doña Maria. Ich vertraue darauf, daß Sie meinen Rat nicht übelgenommen haben.«
»Es ist ein guter Rat, in diesem Land weiß man nie, was passieren kann«, murmelte sie gepreßt. »Ich werde gleich morgen mit Dr. Chirinos sprechen. Alles wird mit größter Diskretion vonstatten
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