Das Fest des Ziegenbocks
gehen?«
»Bei meiner Ehre, Doña Maria«, versicherte der Präsident und faßte sich an die Brust.
Er sah, daß sich ein Zweifel im Gesicht der Witwe des Generalissimus malte. Und er ahnte, worum sie ihn bitten würde:
»Ich bitte Sie, diese kleine Angelegenheit nicht einmal vor meinen Kindern zu erwähnen«, sagte sie sehr leise, als fürchtete sie, sie könnten sie hören. »Aus Gründen, die zu erklären langwierig wäre.«
»Vor niemandem, nicht einmal vor ihnen, Dofia Maria«, beruhigte sie der Präsident. »Selbstverständlich. Erlauben Sie mir, Ihnen noch einmal zu sagen, wie sehr ich Ihre Charakterfestigkeit bewundere, Doña Maria. Ohne Sie hätte der Wohltäter niemals alles getan, was er getan hat.« Er hatte einen weiteren Punkt in seinem Stellungskrieg gegen Johnny Abbes gewonnen. Die Antwort von Doña Maria Mar-tínez fiel aus, wie erwartet: Ihre Habsucht war stärker als jede andere Leidenschaft. Die Vortreffliche Dame flößte Dr. Bala-guer in der Tat einen gewissen Respekt ein. Um sich so viele Jahre an der Seite Trujillos halten zu können, zunächst als Geliebte und dann als Ehefrau, mußte la Españolita mit der Zeit jede Sentimentalität, jedes Gefühl – vor allem das Mitleid abgelegt und sich in Berechnung, in kalte Berechnung und vielleicht auch in Haß geflüchtet haben. Die Reaktion von Ramfis dagegen verwirrte ihn. Zwei Stunden nachdem er mit Radhamés, dem Playboy Porfirio Rubirosa und einer Gruppe von Freunden in dem von der Air France gecharterten Flugzeug auf dem Stützpunkt San Isidro eingetroffen war – Balaguer war der erste, der ihn am Fuß der Gangway umarmte –, erschien er, frisch rasiert und bekleidet mit seiner Vier-Sterne-Generalsuniform, im Regierungspalast, um seinem Vater die letzte Ehre zu erweisen. Er weinte nicht, er öffnete nicht den Mund. Er war bleich, und in seinem traurigen, hübschen Gesicht lag ein sonderbarer Ausdruck, eine Mischung aus Verwunderung, Ungläubigkeit, Abwehr, als könne und dürfe diese Gestalt, die in Paradeuniform, die Brust mit Orden bedeckt, in dem prachtvollen, von Kandelabern umstellten Sarg lag, in diesem Raum voller Grabkränze nicht sein, wo sie war, als würde sie, weil sie dort war, einen Fehler in der Ordnung des Universums offenbaren. Er betrachtete lange Zeit den Leichnam seines Vaters, während sein Gesicht sich in unwillkürlichen Grimassen verzerrte; es war, als versuchten seine Gesichtsmuskeln, sich eines unsichtbaren Spinnennetzes zu erwehren, das auf seiner Haut klebte. »Ich werde nicht so großzügig sein, wie du es mit deinen Feinden warst«, hörte er ihn schließlich sagen. In diesem Augenblick murmelte Dr. Ba laguer, der in strenger Trauerkleidung neben ihm stand, an seinem Ohr: »Es ist unbedingt erforderlich, daß wir uns ein paar Minuten unterhalten, Herr General. Ich weiß, daß dies ein sehr schwieriger Augenblick für Sie ist. Aber es gibt Dinge, die keinen Aufschub dulden.« Ramfis faßte sich und nickte. Sie begaben sich allein in das Amtszimmer des Präsidenten. Unterwegs sahen sie durch die Fenster die riesige, rasch wachsende Menge, der sich noch immer Gruppen von Frauen und Männern anschlössen, die aus den Vorstädten von Ciudad Trujillo und aus den Nachbarorten gekommen waren. Die Schlange bestand aus Vierer- oder Fünferreihen und maß mehrere Kilometer; die bewaffneten Wachen hatten Mühe, sie im Zaum zu halten. Sie warteten schon stundenlang. Es gab herzzerreißende Szenen, Tränen, hysterische Anfälle, sobald die Wartenden die Treppe des Regierungspalastes erreicht hatten und sich dem Ort nahe fühlten, wo der Generalissimus aufgebahrt lag. Dr. Balaguer wußte vom ersten Augenblick an, daß von diesem Gespräch seine Zukunft und die der Dominikanischen Republik abhing. Deshalb beschloß er etwas zu tun, was er nur in extremen Fällen tat, denn es ging gegen sein vorsichtiges Naturell: alles auf eine Karte zu setzen, in einer Art Handstreich. Er wartete, bis der älteste Sohn Trujillos gegenüber seinem Schreibtisch Platz genommen hatte – vor den Fenstern wogte, einem stürmischen Meer gleich, die riesige, dichte Menschenmenge, die darauf wartete, bis zum Leichnam des Wohltäters zu gelangen –, und sagte ihm, gelassen wie immer, ohne die geringste Unruhe erkennen zu lassen, was er sorgsam vorbereitet hatte:
»Von Ihnen und nur von Ihnen hängt ab, ob etwas, viel oder nichts von Trujillos Werk übrigbleibt. Wenn sein Erbe verschwindet, wird die Dominikanische Republik erneut in der Barbarei
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