Das Fest des Ziegenbocks
haben ihm meine Feinde hintertragen? Bin ich womöglich in Ungnade gefallen? Habe ich etwas nicht getan, was er mir befohlen hat? Bis zum Abend würde er in der Hölle schmoren. Aber dieser Gedanke beschäftigte ihn nur ein paar Sekunden, denn wieder kehrte die quälende Erinnerung an das Mädchen in sein Gedächtnis zurück. Zorn, Traurigkeit, Wehmut verbanden sich in seinem Innern zu einem tiefen Unbehagen. Da kam ihm der rettende Gedanke: ›Ein Mittel, das der
Krankheit gleicht.‹ Das Gesicht einer schönen Frau, die vor Lust in seinen Armen verging, die ihm für den großen Genuß dankte, den er ihr verschafft hatte. Würde das nicht das perplexe Gesicht dieser dämlichen Ziege auslöschen? Ja: er würde heute abend nach San Cristóbal fahren, in das Mahagonihaus, den Affront im selben Bett und mit denselben Waffen sühnen. Diese Entscheidung – er berührte wie zur Beschwörung seinen Hosenschlitz – verbesserte seine Laune und animierte ihn, mit der Tagesordnung fortzufahren.
IX
»Weißt du was von Segundo?« fragte Antonio de la Maza. Auf das Lenkrad gestützt, antwortete Antonio Imbert, ohne sich umzudrehen:
»Ich habe ihn gestern gesehen. Jetzt erlauben sie mir, ihn jede Woche zu besuchen. Ein kurzer Besuch, eine halbe Stunde. Manchmal beschränkt der Dreckskerl von Gefängnisdirektor die Besuche aber auch einfach auf fünfzehn Minuten. Reine Schikane.« »Wie geht’s ihm?«
Wie konnte es jemandem gehen, der im Vertrauen auf eine versprochene Amnestie Puerto Rico verlassen hatte, wo er für die Familie Ferré in Ponce gearbeitet und eine gute Position gehabt hatte, und nach der Rückkehr in seine Heimat entdekken mußte, daß man auf ihn wartete, um ihm für das angeblich vor ewigen Zeiten in Puerto Plata begangene Verbrechen an einem Gewerkschafter den Prozeß zu machen und ihn zu dreißigjahren Gefängnis zu verurteilen? Wie konnte sich ein Mann fühlen, der, wenn er getötet hatte, es für das Regime getan hatte und denTrujillo zur Belohnung schon seit fünf Jahren in einem unterirdischen Kerker verfaulen ließ?
Aber das antwortete er ihm nicht, denn Imbert wußte, daß Antonio de la Maza ihm diese Frage nicht gestellt hatte, weil er sich für seinen Bruder Segundo interessierte, sondern um das endlose Warten zu verkürzen. Er zuckte die Schultern:
»Segundo hat Schneid. Wenn es ihm schlechtgeht, zeigt er es nicht. Manchmal erlaubt er sich den Luxus, mir Mut zu machen.«
»Du hast ihm doch wohl nichts von der Sache gesagt.« »Natürlich nicht. Aus Vorsicht und damit er sich keine Hoffnungen macht. Und wenn es schiefgeht?« »Es wird nicht schiefgehen«, schaltete sich Amadito vom Rücksitz her ein. »Der Ziegenbock kommt.« Würde er kommen? Tony Imbert schaute auf seine Uhr. Er konnte noch immer kommen, es gab keinen Grund zur Verzweiflung. Er wurde niemals ungeduldig, seit vielen Jahren nicht mehr. Als junger Mann wohl, leider, und das hatte ihn dazu verleitet, Dinge zu tun, die er mit allen Fasern seines Körpers bereute. Wie jenes Telegramm, das er 1949 nach der Landung der Trujillo-Gegner unter Führung von Horacio Julio Ornes am Strand von Luperón, in der Provinz Puerto Plata, deren Gouverneur er war, in rasender Wut abgeschickt hatte. »Ein Befehl von Ihnen, und ich setze Puerto Plata in Brand, Chef.« Der Satz, den er in seinem Leben am meisten bereute. Er sah ihn in allen Zeitungen abgedruckt, denn nach dem Willen des Generalissimus sollten alle Dominikaner wissen, ein wie überzeugter und fanatischer Trujillo-Anhänger der junge Gouverneur war.
Warum hatten Horacio Julio Ornes, Félix Córdoba Boniche, Tulio Hostilio Arvelo, Gugú Henríquez, Miguelucho Feliú, Salvador Reyes Valdez, Federico Horacio und die anderen an jenem fernen 19. Juni 1949 Puerto Plata ausgewählt? Die Expedition scheiterte auf der ganzen Linie. Eines der beiden Flugzeuge der Invasoren schaffte es nicht einmal bis zum Ziel und mußte zur Insel Cozumel zurückkehren. Das andere, Catalina, mit Horacio Julio Ornes und seinen Gefährten, konnte am sumpfigen Ufer von Luperón wässern, aber bevor alle an der Expedition Beteiligten an Land gegangen waren, wurde es von einem Küstenwachtschiff unter Beschüß genommen und zerstört. Die Patrouillen der Armee nahmen die Invasoren in wenigen Stunden gefangen. Dies bot Trujillo Gelegenheit für einen dieser Streiche, die ihm so gefielen. Er amnestierte die Gefangenen, darunter Horacio Julio Ornes, und erlaubte zum Beweis seiner Macht und Großzügigkeit, daß sie
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