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Das Fest

Titel: Das Fest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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fahren.
    Alles in allem war die Party eine ziemliche Schweinerei. Aber die männlichen Mitarbeiter freuten sich jedes Mal darauf, weil sie ein anständiges Saufgelage zu schätzen wussten, vor allem, wenn es ohne Ehefrauen stattfand. Diese waren auf der schicken, offiziellen Weihnachtsfeier angemessen unterhalten worden und wurden nie zur internen Party eingeladen. Die Sekretärinnen wiederum liebten die Büroparty, weil sie dort Dinge sahen und hörten, die sie das ganze nächste Jahr über als Mittel zur Erpressung verwenden konnten.
    Luther hasste die Party. Er trank wenig, betrank sich niemals und fand es jedes Mal furchtbar peinlich, mit ansehen zu müssen, wie seine Kollegen sich lächerlich machten.
    Diesmal blieb er bei abgeschlossener Tür in seinem Büro sitzen und beschäftigte sich bis zur letzten Minute mit irgendwelchen Nebensächlichkeiten. Kurz nach elf Uhr ertönte vom anderen Ende des Korridors Musik. Luther passte einen geeigneten Moment ab und verschwand. Es war der dreiundzwanzigste Dezember. Er würde erst am sechsten Januar zurückkommen, und bis dahin würde bei Wiley & Beck wieder Normalität eingekehrt sein.
    Ein Glück, dass er das hinter sich hatte.
    Er ging noch einmal beim Reisebüro vorbei, um sich von Biff zu verabschieden, doch sie war schon fort — zum Pauschalurlaub in einer fabelhaften neuen Ferienanlage in Mexiko. Luther lief zu seinem Wagen und war ziemlich stolz darauf, dass er dem Wahnsinn in der sechsten Etage entkommen war. Dann machte er sich auf den Weg zum Einkaufszentrum, wo er sich noch einmal in den Bronzomat legen und danach einen Abschiedsblick auf all die Idioten werfen wollte, die beinahe bis zur letzten Minute gewartet hatten und nun kaufen mussten, was in den Geschäften übrig war. In den Straßen herrschte dichter Verkehr, und als Luther sich endlich bis zum Einkaufszentrum durchgequält hatte, blockierte ein Polizist die Parkplatzeinfahrt. Alle Plätze belegt. Hier kommt keiner mehr rein. Kehren Sie um. Mit Vergnügen, dachte Luther.
    Er war mit Nora zum Mittagessen in einem Bistro verabredet. Sie hatten tatsächlich einen Tisch reservieren lassen müssen, was ansonsten das ganze Jahr über völlig unnötig war. Luther kam zu spät. Nora hatte rotgeweinte Augen.
    »Ich habe heute Morgen mit Bev Scheel gesprochen«, sagte sie. »Sie war gestern beim Check-up. Der Krebs ist wieder da, zum dritten Mal.«
    Obwohl Luther und Walt nicht gerade die besten Freunde waren, hatten ihre Ehefrauen im Laufe der Jahre ein gutes Verhältnis zueinander entwickelt.
    »Er hat auf ihre Lunge übergegriffen«, sagte Nora und wischte sich die Augen. Sie und Luther bestellten Mineralwasser. »Und die Ärzte haben den Verdacht, dass auch schon in Leber und Nieren Metastasen sind.«
    Luther zuckte zusammen. »Das ist ja furchtbar«, bemerkte er leise.
    »Es könnte ihr letztes Weihnachten sein.«
    »Hat hr Arzt das gesagt?«, erkundigte er sich, wie immer skeptisch angesichts von Laiendiagnosen.
    »Nein, das sage ich.«
    Sie unterhielten sich viel zu lange über die Scheels, und als Luther endgültig genug hatte, warf er ein: »In achtundvierzig Stunden geht es los. Prost.« Sie stießen mit Mineralwasser an, wobei Nora zaghaft lächelte.
    Als sie ihre Salatportionen zur Hälfte aufgegessen hatten, fragte Luther: »Bereust du es?«
    Nora schüttelte den Kopf, schluckte und erwiderte: »Ach, den Baum habe ich tatsächlich manchmal vermisst, und die Dekoration, die Musik und die Erinnerungen. Aber die Staus, das Einkaufen und den ganzen Stress bestimmt nicht. Das war eine großartige Idee, Luther.«
    »Ich bin eben ein Genie.«
    »Bloß keine Übertreibung. Was meinst du — ob Blair überhaupt daran denkt, dass Weihnachten ist?«
    »Wenn sie Glück hat, nicht. Ich bezweifle es«, sagte Luther mit vollem Mund. »Sie arbeitet da unten doch mit einem Haufen wilder Heiden, die Flüsse und dergleichen anbeten. Warum sollten die sich Zeit für Weihnachten nehmen?«
    »Wilde Heiden? Das ist aber ein bisschen derb ausgedrückt, Luther.«
    »Nur ein Scherz, Liebling. Diese Leute sind bestimmt alle ganz sanftmütig und nett. Keine Sorge!«
    »Sie hat geschrieben, dass sie nie auf einen Kalender guckt.«
    »Das ist doch toll! Ich habe zwei Kalender in meinem Büro und vergesse trotzdem ständig, welcher Tag gerade ist.«
    Millie aus dem Frauenverein platzte dazwischen, umarmte Nora und wünschte Luther fröhliche Weihnachten. Bei jeder anderen wäre er verärgert gewesen, doch Millie war groß,

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