Das Fest
der Hemlock Street keinen Frosty auf dem Dach — bei den Kranks muss der Schneemann weiterhin sein Leben im Keller fristen. (Hemlock Street, mehrmaliger Gewinner des Straßendekorationswettbewerbs der Gazette , landete in diesem Jahr abgeschlagen auf dem sechsten Platz.) »Hoffentlich sind sie jetzt zufrieden«, beklagte sich ein unbekannter Nachbar. »Ein ganz mieser Fall von Egoismus«, kommentierte ein anderer.
Wenn Luther gekonnt hätte, wäre er hinausgestürmt und hätte einen verdammten Frosty nach dem andern von den Dächern seiner Nachbarn geholt.
Stattdessen saß er lange Zeit mit einem Knoten im Magen am Küchentisch und versuchte sich selbst davon zu überzeugen, dass auch dies vorübergehen würde. Bis zu ihrer Abreise waren es nur noch vier Tage, und wenn sie wiederkamen, würden die verdammten Frostys alle weggepackt und die Lichterketten und Bäume verschwunden sein. Doch dafür würde sich eine Flut von Rechnungen in die Briefkästen ergießen — vielleicht brachten seine wunderbaren Nachbarn ja dann ein bisschen mehr Verständnis für ihn und Nora auf.
Luther blätterte den Rest der Zeitung durch, konnte sich aber nicht mehr konzentrieren. Schließlich fasste er einen Entschluss, biss die Zähne zusammen und überbrachte die schlechten Neuigkeiten seiner Frau.
»Was für eine scheußliche Art, geweckt zu werden«, murmelte Nora und warf einen Blick auf das Foto in der Zeitung. Sie rieb sich die Augen und blinzelte.
»Dieser Schwachkopf Walt Scheel hat dem Fotografen erlaubt, auf sein Dach zu steigen«, sagte Luther.
»Bist du sicher?«
»Selbstverständlich bin ich sicher. Sieh dir die Aufnahme doch mal genau an.«
Sie betrachtete das Bild eingehender und las dann auch den Artikel darunter. Bei »… ganz mieser Fall von Egoismus« schnappte sie nach Luft.
»Wer hat das gesagt?«, wollte sie wissen.
»Entweder Scheel oder Frohmeyer. Wer weiß? Ich gehe jetzt unter die Dusche.«
»Wie können sie es wagen!«, rief Nora. Sie starrte immer noch auf das Foto.
Gutes altes Mädchen, dachte Luther. Werde ruhig wütend. Aber bleib standhaft. Nur noch vier Tage — jetzt machen wir ganz gewiss nicht mehr schlapp.
* * *
Nach dem Abendessen und einem vergeblichen Versuch, fernzusehen, entschloss sich Luther zu einem Spaziergang. Er hüllte sich in seinen Mantel und wickelte einen Wollschal um seinen Hals, denn draußen lag die Temperatur unter dem Gefrierpunkt, und es bestand Aussicht auf Schnee. Er und Nora hatten eines der ersten Häuser in der Hemlock Street gekauft — er würde sich verdammt noch mal nicht dazu zwingen lassen, sich darin zu verstecken. Dies war seine Straße, seine Nachbarschaft, sein Freundeskreis. Und diese kleine Episode würde schon bald vergessen sein. Luther vergrub seine Hände tief in den Manteltaschen und schlenderte den Bürgersteig entlang. Die kalte Luft erfrischte seine Lungen.
Er schaffte es bis zum Ende der Straße, bevor Spike Frohmeyer seine Fährte aufnahm und ihn mit dem Skateboard einholte. »Hi, Mr. Krank«, sagte er und bremste ab. »Hallo, Spike.«
»Was treibt Sie denn nach draußen?«
»Ich mache nur einen kleinen Spaziergang.«
»Gefallen Ihnen die Weihnachtsdekorationen?«
»Aber selbstverständlich. Und was führt dich hierher?«
»Ich bewache die Straße«, erwiderte Spike und sah sich dabei um, als stünde eine Invasion bevor.
»Weißt du schon, was du vom Weihnachtsmann bekommst?« Spike lächelte und dachte eine Sekunde lang nach. »Ich bin nicht sicher, aber wahrscheinlich einen Gameboy, einen Hockeyschläger und ein Schlagzeug.«
»Keine schlechte Ausbeute.«
»Wissen Sie, natürlich glaube ich nicht mehr an den Weihnachtsmann. Aber Mike ist erst fünf, also tun wir immer noch so.«
»Verstehe.«
»Ich muss los. Fröhliche Weihnachten.«
»Dir auch ein frohes Fest, Spike«, sagte Luther und hoffte, dass er die verbotenen Worte damit zum ersten und letzten Mal in diesem Jahr geäußert hatte. Spike verschwand die Straße hinunter. Gewiss würde er sofort nach Hause rasen, um seinem Vater zu berichten, dass Mr. Krank sich vor die Tür gewagt hatte und nun auf dem Bürgersteig frei herumlief.
Luther blieb vor dem Schauspiel bei den Trogdons stehen — mehr als vierzehntausend Glühbirnchen, die über Bäume, Sträucher, Fenster und Verandasäulen drapiert waren. Den Platz auf dem Dach teilte sich Frosty mit dem Weihnachtsmann und seinen Rentieren, alle perfekt mit weißen Birnen umrandet. Rudolph hatte natürlich eine knallrote,
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