Das Festmahl des John Saturnall
Vanian und Henry Palewick umstanden den Herd. Die Feuerstelle war kalt. Auf den Regalbrettern fehlten Bücher.
»Vielleicht ist er nur Luft schöpfen gegangen«, sagte Underley halbherzig.
»Er ist weg«, sagte Vanian.
John sah zum Herd. Die Schöpfkelle hing an ihrem Haken. Er nahm sie in die Hand, spürte ihr Gewicht. Das war Scovells letztes Rätsel, dachte er. Doch nun war keine Zeit, darüber zu grübeln.
»Ich denke, wir sollten es für uns behalten«, sagte Henry Palewick. »Bis die Festlichkeiten vorbei sind.«
Die anderen nickten.
»Oben ist schon genug Durcheinander«, sagte Henry Palewick. »Sir Philemon kam letzte Nacht mit einer Rotte Leibgardisten. Seitdem ist er in Geheimberatung mit Sir William, und wir sind mit allen Vorbereitungen im Verzug.«
»Hat nicht viel zu bedeuten, ob Master Scovell da ist oder nicht da ist«, sagte Mister Bunce gelassen. »Heute ist eben John unser Meisterkoch.«
Er holte mit der Schöpfkelle aus und hörte den Kupferkessel dröhnen. Er hörte, wie seine Stimme die Männer und Jungen auf ihre Posten rief. Er sah, wie die Geschäftigkeit in der Küche zunahm. Simeon und Hesekey reichten Luke und Colin die Enten und Kapaune für den Bratspieß. Alf schleppte Körbe voller Blattgemüse und Gartenkräuter aus der Vorbereitungsabteilung herbei. Adam füllte Teigförmchen mit Hackfleisch, und Tam Yallop überwachte die Wärmepfannen. Phelps legte mit einer langen Feuerzange Holzkloben im Herd nach, bis die Flammen zum Schornstein hochschlugen. Philip eilte von Arbeitstisch zu Arbeitstisch.
John stand mitten in dem Tohuwabohu und dachte an Scovells letzte Worte. Ein Koch ist allein ... Vor seinem inneren Auge rollten bereits die nächsten Stunden ab, wurden die Gerichte auf den Servierbrettern die Treppe hinaufgetragen: Pasteten und Torten, Vögel und Fische, Brotlaibe, Kuchen, Puddinge und Gebäck. Er sah das Meer aus Gesichtern wogen und branden. Hinten am hohen Tisch des Saals saßen Lucretia und Piers nebeneinander.
»John!« Philip schüttelte ihn an der Schulter. »Hast du gehört? Die Gäste an den niedrigeren Tischen haben Platz genommen.«
Am anderen Ende der Küche drängten sich Mister Quillers Servierdiener am Fuß der Treppe. Luke hatte die ersten Servierbretter gefüllt. Phineas wartete in der Tür, um den Männern in der Backstube ein
Zeichen zu geben. Vor dem Herdfeuer sandte der Gewürzwein seine würzigen Schwaden in die Luft. Hunderte vertraute Gerüche wirbelten durcheinander.
Doch die Aromen, die Johns Nase kitzelten, waren nicht die von Gewürzen oder Bratenfleisch. Es war der Duft von Äpfeln und von Rosenwasser. Und seine Gedanken weilten nicht bei dem Festmahl oder bei Scovell, was immer diesen von Buckland fortgelockt haben mochte. Stattdessen dachte John an seinen Teich kristallklaren Gelees in Henry Palewicks kühlster Kammer, an die Liebesgaben auf dem Boden des Teichs. Ein Ring. Ein Pfeil. Ein rotes Herz. Er dachte an die Treppe, auf der Piers ihn mit schwerer Zunge verhöhnt hatte. Hoch die Tassen ... Wenn du ihr schon nicht unter den Rock fassen kannst ... Er hatte keine Tasse, dachte er. Nur Scovells Schöpfkelle. Er betastete ihre Rundung, so glatt wie die Rundung ihrer Wange. Er sah ihre Lippen, die sich vor seinen öffneten.
»Was ist, John? Was ist los?« Philip stand vor ihm.
»Nichts«, sagte er zu Philip. »Gar nichts.«
Und ohne länger zu überlegen, schlug er mit der Schöpfkelle an den Kessel. Der Klang hallte und vibrierte unter dem Gewölbe der Decke. Als er langsam erstarb, trat Stille ein. In der ganzen Küche richteten sich alle Blicke auf John.
Rührt euch!
Das waren seine nächsten Worte. Er hatte die gesamte Abfolge der Arbeitsgänge im Kopf. Ohne ihn konnte es kein Festmahl geben. Er öffnete den Mund. Doch bevor er etwas sagen konnte, packte Philips Hand ihn wieder an der Schulter.
»John, sieh nur!«
In der ganzen Küche begannen Köche, Hilfsköche, Küchenjungen und Spüler zu murmeln und mit dem Finger zu zeigen, und dann drehten sie sich zur Treppe um, rissen sich die Mützen vom Kopf und fielen auf die Knie. Ein schwarzgekleideter Mann stand am Fuß der Treppe. Er wendete sein Gesicht mit der Raubvogelnase hin und her, während er die unvertraute Szenerie aufmerksam beäugte. In einen schweren
Umhang und einen schwarzen Waffenrock gekleidet, ließ Sir William seinen Blick durch das Küchengewölbe wandern.
»John«, zischte Philip und stieß John in die Rippen.
»Ein Fremder«, brachte John
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