Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
Vom Netzwerk:

Korallene Spangen und Bernsteinknopf:
Nimmst du mit diesen Freuden vorlieb,
Dann lebe mit mir, mein Herz, mein Lieb.
    John bekleidete sie mit den Worten; er stellte sich die Haube aus Blüten vor, den blätterbestickten Umhang, das Gewand aus Schafwolle und den Gürtel mit seinen Bernsteinknöpfen. Lucretia schloss das Buch und lächelte.
    »Gemma und ich haben gern so getan, als käme eines Tages ein Schäfer und würde uns entführen.«
    »Stattdessen hast du einen Koch bekommen.«
    »Ich bin mit meinem Koch zufrieden.«
    »Und was ist mit den Tälern und Hainen?«
    »Hier ist der Ort, wo ich sein will«, sagte sie. »Hier in diesem Zimmer.«
    Sie warfen die schweren Decken zurück und entblößten sich voreinander im flackernden Licht des Feuers. Sein Blick wanderte über ihren Rücken, die Schenkel und die schlanken Beine entlang. Ihre Finger fuhren durch seine dunklen Haare und ertasteten die Narbe, welche
die Musketenkugel an seiner Kopfhaut hinterlassen hatte. Sie holte eine Kerze und hielt sie über seinen Körper.
    »Du bist sehr dunkel, Master Saturnall.«
    »Es heißt, mein Vater sei ein Mohr gewesen.«
    »War er ein Mohr?« Sie führte die Kerze hin und her, und ihr Gesicht war ihm so nahe, dass er ihren Atem auf seiner Haut spürte.
    »Oder ein Pirat aus dem Land der Berber.«
    »Und deine Mutter?«
    Er sah sie über das Kissen hinweg an. »Du hast sie einmal gesehen. Aber daran wirst du dich kaum erinnern können.«
    Er erzählte ihr, wie seine Mutter in das Gutshaus gekommen war und wie sie es verlassen hatte. Er erzählte ihr von dem rätselhaften Streit zwischen Almery und Scovell. »Mistress Gardiner hat ihn eine Elster genannt. Er wollte sie bestehlen.«
    »Und was wollte er stehlen?«, fragte Lucretia.
    »Ein Buch. So scheint es mir zumindest. Du hast dich doch gewundert, wie es kommt, dass ein Küchenjunge lesen kann.« Er schilderte ihr die Lektionen, die seine Mutter ihm am Berghang erteilt hatte, und sein Leben im Dorf mit Cassie und den anderen. Er erzählte ihr von der Seuche, die das Dorf heimgesucht hatte. Von seiner und seiner Mutter Flucht und von den Ruinen des Palasts im Wald. Von dem Zorn, der in seinem Inneren geglommen hatte, und davon, wie Cloughs Anblick den Zorn wieder entfacht hatte. Und zuletzt sprach er von Saturnus und der Frau, die das Fest hergebracht hatte.
    »Sie hieß Bellicca«, sagte John. »Sie kam her, als die Römer sich zurückzogen. Sie brachte das Fest in das Tal. Alles, was grünt, wuchs in ihrem Garten, hat meine Mutter gesagt. Jedes Geschöpf, das geht oder kriecht, das fliegt oder schwimmt, lebte dort. Das Fest sei für alle, hat sie gesagt. Damals saßen alle Männer und Frauen als Gleiche beim Festmahl und tauschten ihre Zuneigung ...«
    »Wie wir«, sagte Lucretia. Sie lächelte, aber John hatte noch nicht zu Ende erzählt.
    »Aber dann kam Coldcloak«, sagte er, und seine Miene verfinsterte
sich. »Manche behaupten, er habe sie geliebt. Andere sagen, sie sei eine Hexe gewesen und habe ihn verzaubert. Er saß an ihrem Tisch und nahm an ihrem Festmahl teil. Aber er hatte Jehovas Priestern einen Eid geschworen. Bellicca habe das ganze Tal mit ihrem Fest verhext, behaupteten sie. Und Coldcloak gelobte, das Tal für Christus zurückzuerobern. Er verwüstete ihre Gärten. Er löschte die Feuer in ihren Herden und zerschlug ihre Tische. Er vertrieb ihr Volk und nahm alles, was grünte. Das Fest war verloren, bis auf das Buch ...«
    Er hielt inne. Lucretias Lächeln war geschwunden, und ein sonderbarer Blick war an seine Stelle getreten. Auf einmal schien keine Nähe mehr zwischen ihnen zu bestehen.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Er hat sie verraten«, sagte Lucretia schnell. »Er saß an ihrem Tisch und hat sich dennoch gegen sie gestellt.« Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie sich von dem Gedanken befreien, und ergriff ihn am Arm. »Versprich mir, dass du mich nie verraten wirst.«
    Vor den Bediensteten begegneten sie einander reserviert und mit steifer Förmlichkeit. Aber Philip musste John an die Gerichte erinnern, die er zum Sieden auf den Herd oder zum Auskühlen auf den Arbeitstisch gegeben hatte. Ephraim Clough habe wohl sein Gehirn mitgenommen, sagte er aufgebracht zu John.
    Mottes Männer schaufelten die Steine aus der Kapelle und trugen einen Tisch hinein. Sonntags versammelte der Haushalt sich dort, sang einen Psalm und sprach ein Gebet. Als die Weihnachtszeit nahte, machten John und Philip sich daran, die Speisekammern und Vorratskammern zu

Weitere Kostenlose Bücher