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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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    »Äpfel haben wir mehr als genug«, berichtete Philip. »Speck, Schinkenseiten, einen halben Sack Trockenfrüchte, eingemachtes Obst und Gemüse und den Zuckerhut in der Speisekammer. Zwei Sack Mehl. Die Mutterschafe geben noch Milch. Mistress Gardiner will Weichkäse und Molke machen. Die Möhren und Rüben in den Mieten sind noch gut. Wir können süßen Weizenbrei und Küchlein mit Mincemeat machen. Wir können ein Schwein schlachten. Aber wir brauchen mehr
Holz. Der Stapel im Hof ist fast aufgebraucht ... Hörst du mir überhaupt zu?«
    John zelebrierte die langen Nächte mit Lucretia in dem sicheren Versteck der schweren dunklen Vorhänge. Sie las ihm die Verse aus ihrem Buch vor, wenn sie am Feuer saß oder behutsam an dem Stuhl, dem Tischchen und der Wiege vorbeiging, um keinen Staub aufzuwirbeln. Sie flocht ihr Haar zu Zöpfen, damit er sich daran erfreuen konnte, die Zöpfe zu öffnen, die dicken Locken um seine Finger zu winden und sie über ihr Gesicht fallen zu lassen. Ihre dunklen Augen spähten hinter den zerzausten Fransen hervor.
    »Als ich dich zum ersten Mal sah«, murmelte sie, »konnte ich dich nicht leiden.«
    Er nickte schläfrig. »Mir ging es genauso.«
    Über das lange Kopfpolster hinweg sahen sie einander an.
    »Stell dir vor, sie wüssten Bescheid«, sagte John. »Piers. Sir William ...«
    »Sie sind weit weg.«
    »Und wenn sie zurückkommen?«
    »Dann wirst du mich verlassen«, sagte Lucretia. »Du wirst ins Tal davonreiten. Du wirst mich vergessen ...«
    »Das werde ich nicht«, sagte John. »Aber du wirst Piers heiraten.«
    »Vielleicht findet er eine andere. Eine, die mehr nach seinem Geschmack ist. Die Frauen in Paris sollen allesamt höchst anziehend sein. Was denkt Ihr, Master Saturnall, über die Frauen in Paris?«
    Doch Johns Stimmung hatte sich verdüstert.
    »Du wirst ihn heiraten«, wiederholte er.
    »Meistert Euren Zorn, Master Saturnall.«
    Ein Streit schien sich anzubahnen, doch bevor John antworten konnte, ertönte ein lautes Knurren unter der Bettdecke hervor. John lachte, und Lucretia errötete.
    »Ihr seid mein Koch, Master Saturnall«, sagte Lucretia lächelnd. »Gebt mir zu essen.«

     
    »Die ersten Männer und Frauen tranken Gewürzwein. Sie erwärmten ihn mit Honig und würzten ihn mit Safran, Zimt und Muskatblüte. Sie rösteten Datteln und lösten sie auf ...«
    Er kniete über ihr; seine Lippen berührten die flache Einbuchtung zwischen ihren Schulterblättern. Die Worte aus dem Buch seiner Mutter stellten sich in seinem Gedächtnis ein, als hätte Lucretias Hunger sie heraufbeschworen. Abermals stieg der würzige Dampf in Schwaden empor, und ihm war, als wärmte der Wein seinen Bauch. Als er die Worte murmelte, besänftigte ihn das herbeiphantasierte Getränk, wie es ihn in dem eisigkalten Wald getröstet hatte. Nun besänftigte es sie beide. Als er ihren Nacken streichelte, drehte sie sich um.
    »Lass mich deinen Gewürzwein kosten«, verlangte sie.
    John erhob sich und nahm den hohen Krug vom Servierbrett. Er schenkte daraus ein und beobachtete Lucretia, als sie trank. Ihre Kehle zuckte beim Schlucken. Mit dem Finger tupfte sie einen Tropfen von ihrem Kinn und leckte ihn auf. Schließlich sah sie John mit zweifelnder Miene an.
    »Ich muss gestehen, Master Saturnall, dass ich die Datteln nicht herauszuschmecken vermag.«
    »Vielleicht waren sie nicht weich genug. Vielleicht hat auch ein nachlässiger Koch versäumt, die Kerne zu rösten oder den Safran, die Nelken und die Muskatblüte zuzugeben ...«
    »Ich fürchte, Master Saturnall, dass Euer Gewürzwein ganz entschieden nach kaltem Wasser schmeckt.«
    In gespielter Überraschung zog John die Augenbrauen hoch.
    »Nur die allerfaulsten Köche geben der Küche die Schuld, Euer Ladyschaft. In diesem Fall jedoch muss ich mich auf die Leere in unseren Speisekammern berufen. Von unseren Kellern ganz zu schweigen. Oder unseren Vorratskammern. Es lässt sich nicht leugnen, dass wir gar keinen Wein haben.«
    Er sah, wie sie bestürzt die Augenbrauen hob. »Und wie wollt Ihr mir dann zu essen geben?«

    Nacht für Nacht führte er sie durch die Gärten des Saturnus und schilderte die Gerichte, die jedem der Gärten entstammen konnten.
    »Gedünstete Stücke von Wildbret«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Ein Wackelpudding mit Rosinen, Honig und Safran. Eiercremes, parfümiert mit konfierten Rosenblättern und Quittenpaste. Dünne Scheiben Rindfleisch, um ein Püree aus Artischocken und Pistazien gewickelt,

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