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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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Underley?«, näselte Vanian höhnisch. »Wenn sie einfach ist, wie ist sie dann gewürzt?«
    »Das kam heute Vormittag in einem Bündel«, sagte Henry Palewick. »Drunten von Soughton. Master Scovell hat es sofort rausgeholt. Roch für meine Begriffe nach Blumen. Was es auch sein mag.«
    »Was für Blumen?«, fragte der Vierte mit ausländischem Akzent. Er wendete sein Gesicht mit der breitflügeligen Nase Henry zu. »Safran, Odermennig und Beinwell sind wohltätiger Wirkung bei Pflanzen warmen und feuchten Temperaments, Mädesüß, Hahnenfuß und Wermut bei solchen kalten und trockenen Temperaments. War der Geruch ähnlich wie bei einem dieser Kräuter?«
    »Das ist Master Roos«, flüsterte Philip John zu. »Gewürze und Saucen.«
    »Was hat es schon zu sagen, Melichert?«, antwortete Henry und seufzte überdrüssig. »Es ist eine Brühe aus Fischen und Lampreten.«
    »Eine jämmerliche Beschreibung«, sagte Vanian spitz und verächtlich. »Da könnte man auch eine Wäscherin fragen, wie ein Leintuch zu weben ist. Oder diesen Jungen hier!«, schloss er herablassend.
    Köpfe wendeten sich zu ihm. Die anderen Köche schauten her. Erst allmählich begriff John, dass Vanian ihn meinte. Bevor er sich verdrücken konnte, hatte der Mann mit dem Rattengesicht ihn zu sich gewunken und den Deckel vom Kochtopf gehoben.
    »Komm her, Junge«, befahl er, und dann drehte er sich zu den anderen um. »Wir wollen sehen, wie der unverbildete Gaumen seine Arbeit verrichtet.« Er grinste überheblich. »Oder an ihr scheitert.«
    Tropfen gelben Öls bebten an der Oberfläche der Flüssigkeit, die von sattem Orangegelb war. Eine Wolke würzigen Dampfs stieg daraus auf
und verströmte einen üppigen salzigen Geruch. Lilien waren darin auszumachen und Pech. Aber beides war gemildert oder vermischt. John atmete ein, und der Duft begann sich zu entfalten, die Aromen trennten sich an seinem Gaumen, und ein sonderbarer Sinneseindruck kratzte in seinem Hals. Zum ersten Mal, seit er Buckland verlassen hatte, holte Johns Dämon seinen Löffel hervor.
    »Man beachte«, sagte Vanian in hochmütigem Ton, »wie die Bestandteile der Brühe sich zu einer Flüssigkeit vermählen und jeder von ihnen einer Verwandlung unterliegt. Beginnen wir mit den Gewürzen.« Er machte eine effektheischende Pause und sah John erwartungsvoll an. »Nein? Dann sei mir gestattet ...«
    »Muskatblüte«, sagte John.
    Underley sah zu ihm hinüber. Roos hob die Augenbrauen. Henry Palewick riss die Augen auf.
    »Zerstoßener Kreuzkümmel«, fuhr John fort. »Koriandersamen, Majoran, Raute. Essig. Ein wenig Honig und ...« Er verstummte. Die vier Hauptköche starrten ihn an. Vanians schwarze Augen wurden zu Schlitzen.
    »Und?«
    Er roch die Pflanze aus dem Wald. Aber etwas an Vanians Gesichtsausdruck bewog ihn dazu, den Mund zu halten. Bevor der Koch weiterfragen konnte, machte sich Lärm in der Küche bemerkbar.
    Aus der Tür kamen Mister Fanshawe und Mister Wichett geeilt wie einander ergänzende grüne und rote Eilande, umringt von ihren Schreibern. Am Ende der Prozession ging Josh Palewick mit ausdrucksloser Miene. Angeführt wurde die kleine Meute von dem schwarzhaarigen Küchenjungen. Coakes hämischer Blick heftete sich auf John.
    »Da ist er!«, rief der Junge.
    »Haltet ihn!«, rief Fanshawe. »Nehmt den Jungen in Gewahrsam!«
    Doch niemand aus der Küche rührte eine Hand. Als Fanshawes grünlivrierte Männer sich näherten, zwängte John sich zwischen dem verblüfften Henry Palewick und Melichert Roos durch und rannte.
    Vor ihm war die Treppe. Er lief daran vorbei und rannte den Durchgang
entlang, der in die Tiefen der Küchengefilde führte, und die Rufe der Schreiber verfolgten ihn, als er zwischen Trägern und Köchen hindurchschlüpfte, die Körbe oder Tragebretter hielten, auf der Suche nach einem Versteck, doch er fand nur weitere Küchen, in denen Feuer brannten und Männer in Schürzen an Tischen arbeiteten, oder Vorratsräume und Speisekammern, aus denen sich eine Vielfalt an Aromen und Gerüchen in den Durchgang ergoss: abhängendes Wild, Käse, Hefe, warmes Brot ...
    Er bog um eine Ecke und um eine zweite. Sein Herz pochte wie wild, seine Schritte hallten, und John rannte. Er rannte, als wäre abermals ganz Buckland hinter ihm her. Zornige Rufe waren zu vernehmen. Die Küchen schienen kein Ende zu finden, doch schließlich gingen keine Räume mehr von dem Durchgang ab. An einer letzten Gabelung lief John nach links, bis der Flur vor einer Wand endete.

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