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Das Festmahl des John Saturnall

Das Festmahl des John Saturnall

Titel: Das Festmahl des John Saturnall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Norfolk
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John in den Raum.
    Die Küche war weniger geräumig, als John es sich vorgestellt hatte. Entlang einer Wand waren Tische aufgereiht. Am Ende standen drei Töpfe auf einem flackernden Feuer, das ein Junge mit ingwergelbem Haar unterhielt. Aus einem Zugang gegenüber erklang das Geräusch plätschernden Wassers und das dumpfe Dröhnen von Töpfen und Pfannen. Aus diesem Raum blickte ein Mann von so wenig ausgeprägter Eigenart, dass er jedes Alter haben konnte.
    »Das ist Mister Stone«, sagte Philip. »Ihm untersteht die Spülküche. Und der Junge da drüben ist Alf.«

    »Sie ist gar nicht groß«, wagte John zu sagen. »Die Küche«, fügte er hinzu, als Philip ratlos dreinsah. Wie sollten all die Männer in roter Livree in diesem Raum arbeiten können?
    Philip grinste. »Die Küche ist nicht groß genug«, sagte er zu Alf, der für einen Augenblick ebenfalls ratlos dreinsah. Und dann lächelte auch er.
    Philip führte John über die Steinfliesen und schob einen dicken Ledervorhang zur Seite. Leises Summen war zu vernehmen. Ein kurzer Gang führte zu Stufen und schweren doppelten Türen. Als John Philip folgte, wurde das Geräusch lauter. Dann drückte Philip eine Klinke herunter, und die Tür öffnete sich langsam.
    »Das ist die Küche.«
    Getöse brach über John herein, Stimmengewirr, Topfklappern, Pfannenklirren, Messer und Hackbeile, die dumpf auf Holzklötze trafen. Doch all das hörte er nur wie von fern. Eine Flutwelle von Aromen drang ihm in die Nase, dick wie Suppe, reich an Duftnoten: feingestoßener Zucker und kandierte Früchte, dumpfige Rindfleischstücke und kochender Kohl, angeschwitzte Zwiebeln und gedämpfte Rote Bete. Dampfschwaden von frischgebackenem Brot drängten sich vor, gefolgt vom Duft süßer Kuchen. Die Gerüche bratender Kapaunen und schmorenden Specks wurden von der strengen Note der großen rauchgeschwärzten Schinken abgelöst, die im Kamin des Herdes hingen. Irgendwo simmerte Fisch in einer würzigen Brühe, die sowohl süß als auch herb duftete und deren Aroma in Spiralen aufstieg ... Das Silphion, dachte John. Im nächsten Augenblick verlor sich dieser Duft in dem Gemisch von Gerüchen aus den anderen Töpfen, Pfannen und großen dampfenden Kesseln. Das üppige Ragout aus Gerüchen und Geschmacksnoten förderte in seinem Gedächtnis die Erinnerung an Gerichte und Speisen zutage. Für einen Augenblick war er wieder in Bucclas Wald. Die Stimme seiner Mutter sagte die Gerichte auf, und der Gewürzwein senkte sich wie Balsam in seinen Magen, vertrieb Kälte und Hunger und sogar seinen Zorn. Er schloss die Augen und atmete die Gerüche ein, tiefer und tiefer ...

    »Ist dir nicht wohl?«
    »Wie?« John kam zu sich und öffnete die Augen. Philip Elsterstreet musterte ihn besorgt.
    »Dir wird doch nicht übel, oder?«
    John raffte sich zu einem Kopfschütteln auf.
    »Gut.« Philip deutete auf ein dunkles Holzbrett, das über der Tür an die Wand genagelt war. »Übelkeit verstößt nämlich gegen die Regeln.«
    Dicke Säulen trugen ein Gewölbe. Halbmondförmige Fenster waren hoch oben in einer Wand angebracht. Schwere Tische standen in der Mitte der Küche, und an ihnen hackten, klopften, zerlegten und bridierten Männer in Schürzen und mit Kopfbinden die Fleischstücke. Zwischen ihnen bewegten sich Jungen, die unter Servierbrettern und Pfannen schwankten, zu den breiten Bogengängen und dem Flur am anderen Ende des Raums. An einem Tisch wirbelte eine Gruppe von Männern weiße Tuchbündel über den Köpfen, als vollführten sie einen absonderlichen Tanz.
    »Die Küche ist älter als das Haus, sagt Master Scovell«, erzählte Philip. »Das Herdfeuer ist sogar noch älter. Und wenn es ausgeht«, er fuhr sich mit einem Finger über die Kehle, »dann gibt es das.«
    In diesem Augenblick warfen die Männer alle gleichzeitig ihre Tücher auf den Tisch. Aus den Tüchern quollen hellgrüne Blätter.
    »Salatkost«, erklärte Philip. »Da sind nur Blätter erlaubt.«
    Hinter den Salatköchen hob ein anderer Koch runde Servierbretter vom Ausmaß kleiner Wagenräder von einem gewaltigen Gestell neben einer hohen Anrichte. Während John hinsah, rollte der Koch die Bretter über den Boden und rief: »Obacht!« Männer und Jungen wichen aus, als die rumpelnden Scheiben durch den Raum eierten, bis sie in wartend ausgestreckte Hände gerieten. Ein Stapel Zinnschalen wurde laut klappernd auf jedes Servierbrett gesetzt, bevor die Bretter zum anderen Ende der Küche gebracht wurden. Dort nahm ein

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