Das Festmahl des John Saturnall
blasses gepudertes Gesicht zu erkennen. Lady Caroline hob eine schlaffe behandschuhte Hand, als Sir Hector und Sir William so taten, als begrüßten sie einander.
»Elf Jahre, Cousin William!«
»In der Tat, Cousin Hector.«
Aber Lucretias Blick heftete sich auf den jungen Mann, der dem Grafen und der Gräfin von Forham folgte. Piers Callock war dem Augenschein nach nur wenige Jahre älter als sie und eher ungelenk als schlank. In einem dunkelroten Überrock, der ihm etwas zu klein war, und passenden Kniehosen stieg er die Treppe hinauf. Helles Haar hing strähnig zu beiden Seiten eines schmalen Gesichts mit hoher Stirn.
»Komm her, Junge«, befahl der Graf. »Stell dich vor.«
»Lord Piers Callock«, sagte der Junge mit leicht verzogenem Mund. »Zu Euren Diensten.«
»Lady Lucretia Fremantle«, erwiderte Lucretia. Das lange bleiche Gesicht des Jungen ähnelte entfernt einer Wasserpastinake. Doch als Piers sich tief verneigte und seine Hand ausstreckte, unterdrückte Lucretia den wenig ehrerbietigen Gedanken.
Tagsüber begab sich der Graf mit ihrem Vater und mit Mister Pouncey in Klausur. Lady Forham blieb in ihren Gemächern. Der junge Mann verbrachte die Zeit mit seinem Hauslehrer, den Lucretia von ihrem Fenster aus zuerst für einen der Lakaien gehalten hatte. Der Lehrer machte mit seinem Zögling lange Spaziergänge auf den Rasenflächen und las dabei aus einem schwarzen Büchlein vor. Bei der Hauptmahlzeit saß Piers Callock ihr gegenüber in dem Sommersalon und wahrte ein mürrisches Schweigen, wenn Lucretia über die Schüsseln hinweg zu ihm spähte; er erinnerte sie an ihre Ritter, die wie gelähmt vor der Dame ihres Herzens
knieten. Sie wusste, dass die Callocks so arm wie Kirchenmäuse waren. Auch wenn sie mit ihrem Vater verwandt waren. Die einzigen Unterbrechungen in dem langen Schweigen waren Sir Hectors Zurechtweisungen. »Sitz gerade, Junge!«, oder: »Reiche den Wein!«, oder: »Wisch dir den Mund nicht am Ärmel ab!« Lucretia sandte mitfühlende Blicke über den Tisch zu Piers, dessen Mund zuckte wie bei seiner Ankunft.
Sie hatte den Brief ihrer Mutter aus ihren Gedanken verbannt, hatte ihn sorgfältig gefaltet und in das Buch zurückgelegt. Piers würde bei dem Festmahl ihr Kavalier sein, sagte sie sich. Seine schüchterne Zunge würde Gewandtheit entwickeln. In ihrem Bett raffte Lucretia die Laken um sich, als wären es wollene Kleider und Hüte aus Blumen, die sie schmückten. Sie umfasste ihre Taille mit den Händen und dachte an den Gürtel mit seinen Bernsteinknöpfen.
Am Abend des Festmahls sah Lucretia zu, wie ihr Vater Lady Caroline die Hand reichte und sie schweigend durch die Reihen seines Gesindes zu ihrem Platz an der hohen Tafel geleitete. In Ermangelung einer anderen Partnerin folgte Hector Callock mit Mistress Pole. Piers Callock streckte die Hand aus.
»Lady Lucretia.«
Seine Finger fühlten sich klamm an. Das lag an der Kälte in dem großen Saal. Die Bediensteten standen unter dem Gewölbe, Gemma mit schalkhafter Miene zwischen Meg und Ginny, als Piers Lucretia zu ihrem Platz führte. Der Tisch auf dem Podium war mit unvertrauten silbernen Tellern und Schüsseln gedeckt, mit schweren leinenen Servietten, einer reichverzierten Uhr und einem Salzfässchen in Form eines Segelschiffs. Der Gobelin des Hauses Fremantle war aus der Mottenkiste geholt worden und hing an der Rückwand. Als Lucretia ihren Platz erreichte, gab Piers Callock ihre Hand wortlos frei. Noch immer schüchtern angesichts der großartigen Umgebung, vermutete Lucretia. Wie es einem Schäfer ergehen würde, der sich von seinen Berghängen hierher verirrte. Als der junge Mann sich gesetzt hatte, tauchte er seine Hände in die Fingerschale und wischte sie an seinen samtenen Kniehosen ab.
Sein Geist war unverdorben, dachte sie sich. Piers hatte seine Umgangsformen an der Brust von Mutter Natur eingesogen. Als Pater Yapp sich erhob, um das Tischgebet zu sprechen, schob der junge Mann die Zunge im Mund hin und her. Auf der anderen Seite des Tischs bemühte Lady Caroline sich um ein schwaches Lächeln. Sie sei in Ungnade gefallen, hatte Gemma gesagt. Das habe einer der Lakaien Sir Hectors einer der Wäscherinnen erzählt. Die wässrigen blauen Augen der Dame betrachteten die Anwesenden.
Unterhalb des hohen Tischs plauderten die Bediensteten untereinander. Vom anderen Ende des Saals kamen aus dem Durchgang mit der gewölbten Decke zwischen Speisekammer und Anrichtekammer vier Diener, beaufsichtigt von
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