Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
darüber hinwegzugehen. »Warum hattest du eigentlich angerufen?«
»Jörg hat sich bei mir gemeldet.«
»Wer ist Jörg?«
»Der Mann, dem ich die Bilder gezeigt habe, die du mir von diesem Autowrack geschickt hast«, erklärte sie. »Er hat sich übrigens sehr gefreut, mal wieder von mir zu hören.«
Möhrs setzte sich auf die Motorhaube seines Audis und wischte sich den Verdauungsschweiß von der Stirn. Womit hatte er das alles verdient? Dabei hatte es doch zunächst nach einem erfolgreichen Abend für ihn ausgesehen. Barswick hatte dem Plan, sich mit Katja Jakobs zu treffen, zähneknirschend zugestimmt, und dann hatte die Gute auch noch etwas ausgepackt, das den Täterkreis deutlich eingrenzte. Der Gesuchte kannte sich sehr gut mit germanischer Mythologie aus. Nein, mehr noch: Er glaubte an diesen ganzen Quatsch. Wann war die Sache bloß so aus dem Ruder gelaufen? Richtig.Mit Aysels Anruf. »Was hat Jörg denn zu den Bildern gesagt?«
»An seinem Urteil gibt es nichts zu deuteln.« Der Schwenk zu den Ergebnissen ihrer Anfrage schien sie ein bisschen zu besänftigen. Sie hörte sich nun nicht mehr so an, als wäre sie ihm sofort an die Gurgel gegangen, wenn er leibhaftig vor ihr gestanden hätte. Höchstens noch mit Ansage. »Aus einem Wagen in diesem Zustand kommt seiner Meinung nach in neun von zehn Fällen niemand lebend raus. Und im zehnten Fall ist der Fahrer dringend auf medizinische Hilfe angewiesen, damit nicht binnen kürzester Zeit der Exitus eintritt.«
»Gut«, ächzte Möhrs.
»Was soll daran gut sein?«
»Es ist gut, weil es den Druck auf mich verringert.« Möhrs fühlte sich wie der morbideste Mensch auf Erden. »Das bedeutet nämlich, dass der Mörder sein nächstes Opfer nicht irgendwo gefangen hält und gerade foltert.« In was für einer Welt lebte er eigentlich, dass er sich darüber freute, wenn es einem anderen Mann erspart blieb, bei lebendigem Leibe kastriert und in Brand gesteckt zu werden, und diese Verstümmelungen stattdessen nur an einer Leiche vorgenommen wurden? »Verstehst du? Das sind perverserweise gute Nachrichten für mich.«
»Lukas?«
»Hm?«
»Alles in Ordnung mit dir?«
Die Besorgnis in ihrer Stimme schnürte ihm fast die Kehle zu. »Ja, alles bestens.«
»Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst, oder?«
»Klar.«
Sie schwiegen sich eine Weile an.
»Ich fahre jetzt heim«, kündigte sie schließlich an.
»Bist du immer noch im Institut?«
»Es ist nicht so, dass zu Hause jemand auf mich warten würde, Lukas«, sagte sie. Dann war die Verbindung tot.
84
Horst Johnsen befand sich in einer Situation, die sein Nervenkostüm zusehends zerrüttete: Je mehr er versuchte, Kurs zu halten, desto mehr geriet er ins Schlingern. Bevor er ins Kraftwerk gefahren war, um seine Schicht anzutreten, hatte er sich geschworen, heute keinen Tropfen Alkohol mehr anzurühren, weil er einen klaren Kopf brauchte. Jetzt stand er in einem der beiden Supermärkte Güstrins, die um neun Uhr abends noch geöffnet hatten, vor dem Regal mit den Spirituosen und plünderte die Wodkavorräte. Er gab Burmester die Schuld dafür. Was fiel diesem Arsch ein, sich vom Acker zu machen? Was für ein verdammter Irrer! Er stützte sich mit beiden Händen auf seinem Einkaufswagen ab. Er hasste es, wie glitschig sich seine Hände auf dem Plastik der Lenkstange anfühlten. Die Schicht war die Hölle gewesen. Warten, warten und noch mal warten. Kaffeetrinken. Lachen. So tun, als wäre nichts. Und die Ungewissheit, wo Ritter abgeblieben war. Er war nicht zum Dienst erschienen. Ob er auch geflohen war? Johnsen hatte versucht, ihn auf dem Handy anzurufen. »Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit nicht zu erreichen.« War er am Ende der Einzige, der noch die Stellung hielt? Ein bedrückender Gedanke ließ ihm die Knie zittern: Was, wenn Ritter und Burmester die richtige Entscheidung getroffen hatten? Was, wenn er hier der Idiot war? Das letzte verfügbare Ziel für diesen Killer, der sie einzeln abservierte?
Er schüttelte wild den Kopf. Ein Mädchen vor den Sixpacks mit den Biermixgetränken glotzte ihn erschrocken an.
»Kümmere dich um deinen Scheiß«, murmelte er und schob den Wagen in Richtung Ausgang. Die Schlange vor der letzten Kasse, die um diese Uhrzeit noch besetzt war, wand sich bis zu den Tiefkühltruhen mit Eis. Es standen überwiegend junge Leute an, in lächerlich weiten bunten Klamottenwie Zirkusclowns. Lachende Halbstarke mit Softdrinks und Hochprozentigem unterm Arm, die
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