Das Feuer bringt den Tod: Thriller (German Edition)
Ihr Gehirn schaffte es nicht, ihre Erinnerungen an Frieder mit der eben erhaltenen Information über ihn in einen vernünftigen Zusammenhang zu bringen. Sie dachte an den Mann mit den kräftigen Händen, der ihr den Kopf gestreichelt und sie getröstet hatte, weil sie beim Barfußtoben im Garten auf eine Biene getreten war. Daran, wie er sie bei der Beerdigung ihres Vaters auf den Arm genommen und wie sie eine winzige Spur Trost darin gefunden hatte, dass er ein klein wenig so roch wie der Mann, den sie so furchtbar vermisste und der nie wieder zu ihr zurückkommen würde. Wie er sie bei ihrer Abifeier links und rechts auf die Wange geküsst und ihr gesagt hatte, dass sie jetzt erwachsen sei. Und das sollte derselbe Mann sein, der zusammen mit einer Handvoll anderer Kerle vor zwanzig Jahren eine Frau vergewaltigt hatte? Dem für genau dieses Verbrechen nun ein grausiges Ende zuteilgeworden war? Wenn das die Wahrheit war, dann hatte der Wahnsinn des Mörders Methode. Dann machte er nicht einfach nur aus reiner Verblendung Jagd auf Unschuldige. Dann übte er Selbstjustiz, als Richter und Henker in einer Person.
Sie kehrte in den Gastraum zurück, wo Möhrs vor seinemGrillteller saß, den er offenkundig noch nicht angerührt hatte. »Es tut mir leid, dass Sie das auf diese Weise erfahren mussten.«
»Besser spät als nie.« Sie setzte sich und schob die Auflaufform mit dem Käse an den Rand des Tisches. »Was wissen Sie über diese Sache noch?«
»Nicht viel«, gestand Möhrs. »Nur dass einige der daran beteiligten Männer es hinterher sehr bereut haben. Ich vermute, das Opfer war damals eine Prostituierte aus einem der Häfen, die die ›Fritz Straßmann‹ angelaufen hat. Auf dem Schiff selbst gab es ja keine Frauen.«
»Das ist falsch«, korrigierte sie ihn. »Auf der letzten Fahrt gab es sehr wohl eine. Eine Teilnehmerin an einem internationalen Forschungsprojekt. Erika Saalfeld.«
Die Neuigkeit brachte Möhrs nicht weiter aus dem Konzept. »War sie die einzige Frau an Bord?«
»Das weiß ich nicht.«
Er schüttelte langsam den Kopf. »Aber sie war trotzdem nicht das Opfer von damals, das jetzt auf einem Rachefeldzug ist.«
»Wie können Sie sich da so sicher sein?«
»Aus mehreren Gründen.« Er zählte sie einen nach dem anderen an seinen kurzen Fingern ab. »Warum hätte sie mit ihrer Rache so lange warten sollen? Sie lebte doch in unmittelbarer Nähe ihrer Peiniger, und einer davon wäre noch dazu ihr Schwager gewesen. Horst Johnsen. Das ist der erste Grund. Der nächste ist, dass ich den Abschiedsbrief gelesen habe, den sie vor ihrem Selbstmordversuch geschrieben hat. Sie hat den Mörder bewundert. Weil sie seine Motive verkennt. Sie glaubt, er hätte ein Kind verloren und würde dafür dem AKW die Schuld geben, so wie sie. Und drittens hat sie ein einigermaßen brauchbares Alibi für die Nacht, in der Erich Lippert verschwunden ist. Ich habe das überprüfen lassen. Wenn sie lügt, dann lügen auch ihr Nachbar und ihr Sohn. Und das glaube ich mittlerweile nicht mehr, nachdemich gesehen habe, wie die beiden darauf reagiert haben, dass sie sich umbringen wollte.«
Die Erwähnung Thilos dämpfte Katjas aufflackernde Aggressionen. Nein, Thilo hatte nicht gelogen. Das durfte nicht sein. Nicht er. Seiner Mutter traute sie alles zu, aber ihm? »Sie haben eben gesagt, manche der Männer würden ihre Tat bereuen. Wie kommen Sie darauf?«
»Die Witwe eines der Opfer hat mir geschildert, wie sich ihr Mann mit der Erinnerung an die Tat gequält hat«, sagte Möhrs.
»Sie hat ihren Mann all die Jahre gedeckt?«
»Liebe«, erwiderte Möhrs nur. »Wie dem auch sei. Ihr Onkel hat nie etwas in dieser Richtung erwähnt?«
Einen Sekundenbruchteil lang war Katja zu perplex für eine sinnvolle Antwort. Dann meldete sich ihre bissige Ader zu Wort. »Aber klar doch. Natürlich hat er so was erwähnt. Mehrfach. Erst vor ein paar Wochen hat er mich angerufen und zu mir gesagt: ›Soll ich dir noch mal im Detail erzählen, wie ich und meine Kumpels damals über diese arme Frau hergefallen sind?‹«
»Tut mir leid.« Möhrst starrte auf das Fleisch auf seinem Teller. »Das war eine dumme Frage. Lassen Sie es mich anders versuchen. Wissen Sie, wo Ihr Onkel Andenken an seine Zeit auf See aufbewahrt haben könnte? Welche, von denen er nicht mochte, dass sie einem Besucher seines Hauses zufällig in die Hände fallen?«
»Andenken?«
»Fotos. Alte Tagebücher. Kleine Mitbringsel.«
Sie zuckte die Schultern. »Fotos hat
Weitere Kostenlose Bücher