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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Mann lachte aus vollem Hals. »Großvater«, flüsterte Ruth. »Großvater und die kleine Rose.«
    Sie betrachtete es noch einen Augenblick und stellte das Bild vorsichtig zurück an seinen Platz, um es nicht zu beschädigen. Am Abend hatte sie erfahren, dass es ganz in der Nähe noch eine weitere Wasserstelle gab. Dort wollte Ruth sich waschen, sich den Reisestaub vom Körper spülen, um frisch und duftend ihrer Großmutter gegenübertreten zu können. Sie nahm das Handtuch vom Haken und griff nach der Seife.
    Von draußen drang dunkles Gemurmel in die Hütte. Stimmen schwirrten aufgeregt umher, doch kein Lachen, kein Singen, kein Scherzwort mischte sich darunter. Etwas Bedrohliches lag in der Luft, und Ruth spürte, wie sich ihr Herz angstvoll zusammenzog. Sie stürmte aus der Hütte und stieß sofort auf eine Gruppe schwarzer Frauen, die sie mit aufgerissenen Augen anstarrten.
    Das Gemurmel erstarb und wich einer Stille, die Ruth das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Was ist los? Wo ist meine Großmutter?«, fragte Ruth auf Afrikaans.
    Die Frauen hoben hilflos die Hände. Einige sahen zu Boden, zwei junge Frauen weinten.
    Charly trat aus der Menge, trotz seiner dunklen Haut ganz bleich. »Sie ist verschwunden, Miss. Jeden Morgen ist sie die Erste am Feuer. Immer, jeden einzelnen Tag. Heute aber war sie nicht da. Wir sorgen uns. Die Frauen haben Angst, die Männer sind unruhig. Wir glauben, sie ist entführt worden.«
    »Wie? Entführt? Warum denn? Und wer soll das getan haben?« In Ruth stieg Panik auf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie den kleinen Jungen an.
    Charly zuckte mit den Schultern, deutete dann auf Reifenspuren, die dicht an die Hütte heranreichten.
    »Was soll das bedeuten?« Sie trat auf Charly zu, wollte ihn an den Schultern packen und die Informationen, die sie so dringend brauchte, aus ihm herausschütteln, doch der Junge brach in Tränen aus.
    »Wir haben schon überall gesucht. Überall, Miss.«
    Sie nickte, glaubte ihm sofort. Es war für diesen Stamm schlimm, die weiße Frau zu verlieren. Ruth atmete tief durch und ermahnte sich, jetzt nicht die Nerven zu verlieren, dann legte sie ihre Hand auf die Stirn, sah sich um und versuchte, die aufsteigende Panik zu bekämpfen. »Kann man erkennen, wo die Reifenspuren herkommen?«
    Charly nickte. »Sie kamen denselben Weg, den wir gestern genommen haben.«
    »Also muss uns jemand gefolgt sein. Und ausgerechnet ich habe diesen Jemand auf diese Spur gebracht.« Horatio kam ihr in den Sinn – Horatio und die Männer im schwarzen Chevy-Pick-up, von denen Henry Kramer erzählte hatte.
    Ruth erschrak bis ins Mark, ihr Herz schlug wild gegen ihre Brust. Und als hätte der Schreck ihre Erinnerung aufgeweckt, wusste sie plötzlich, wo sie einen der schwarzen Männer schon einmal gesehen hatte: auf der Trauerfeier von Davida Oshoha. Es war der Mann, der so unfreundlich zu ihr gewesen war, der Mann, der behauptet hatte, die Saldens hätten seinem Stamm nichts als Unglück gebracht! Der Mann, der sich als Davidas Enkel zu erkennen gegeben hatte. Der Mann, den auch Horatio gut kannte. Der Mann, der sie verflucht hatte. Sie und alle anderen Saldens.
    »Wie dumm ich doch war!«, rief sie und schlug sich gegen die Stirn. »Wie konnte ich Horatio nur trauen? Er hat meine Großmutter entführt. Er war es. Von Anfang an hatte er nichts anderes im Sinn als das ›Feuer der Wüste‹. Mein Gott, wie dumm und blind ich doch war!«
    Am liebsten wäre sie in Tränen ausgebrochen, doch Ruth wusste, dass ihr das nicht helfen würde. So atmete sie einmal tief durch und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. »Ich fahre zurück nach Lüderitz«, wandte sie sich an Charly. »Jetzt gleich. Der Diamant kann nirgendwo anders an den Mann gebracht werden als dort. Meine Großmutter ist in Lüderitz, das spüre ich deutlich.«
    Charly trat ein paar Schritte zurück und deutete auf einen Baum. »Der Wagen, der in der Nacht hier war, ist schwarz, Miss. Sehen Sie, hier an dem Baum haftet noch ein bisschen Farbe.« Der Junge wies auf eine Verletzung des Stammes in Hüfthöhe. »Hier, Miss, der Wagen muss gegen den Baum geprallt sein. Es war stockdunkel. Kommen Sie, sehen Sie selbst.«
    Ruth trat näher. Tatsächlich: Streifspuren. Die Rinde des Baumes war waagerecht ein ganzes Stück weit aufgerissen, und an den Rändern hafteten winzige schwarze Lackspuren. Das reichte als Bestätigung. Es konnte nicht anders sein. Die Männer mit dem schwarzen Pick-up und Horatio machten

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