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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Ruth.
    Margaret seufzte. »Ich habe lange mit mir gerungen. Wäre ich zurückgegangen, so wären mir die Diamantenjäger, gleich ob schwarz oder weiß, sofort auf den Fersen gewesen. Mein Leben und Roses Leben wären dann immer noch in Gefahr gewesen. Ich wusste doch nicht, was aus dem Mörder meines Mannes geworden war, ob er vielleicht noch immer darauf wartete, dass ich eines Tages wieder auftauchte. Aber zu mir holen konnte ich sie auch nicht. Ich hatte sie seit Jahren nicht gesehen. Ein Säugling gewöhnt sich schnell an eine neue Umgebung. Ich war sicher, dass Eloisa ihr eine gute Mutter war. Sollte ich sie aus ihrer vertrauten Umgebung herausreißen und sie mit mir in die Wüste nehmen? Sollte ich ihr alle Chancen auf eine gute Zukunft verbauen?
    Ich wollte nur, dass Rose glücklich wird. Ein Mädchen, das zur Schule gehen und lernen kann, ein Mädchen, das einen Beruf hat, ein Zuhause, vielleicht sogar einen Mann und Kinder. Hier wäre das alles nicht möglich gewesen. Ich wollte nur das Beste für mein Kind, Ruth. Aber ich bin mir heute nicht sicher, was für sie das Beste gewesen wäre.«
    Margaret schwieg, und Ruth sah, dass sie erschöpft war. Sie legte ihr einen Arm um die Schulter, schmiegte sich an die alte Frau. »Sie hat dich vermisst«, wiederholte sie. »Die ganzen Jahre lang hat Rose ihre Mutter vermisst. Mama Elo hat getan, was sie konnte, aber sie ist eine Schwarze, und Mama ist eine Weiße.«
    »Aber es geht ihnen doch gut, nicht wahr?«
    »Ja, es geht ihnen gut. Und jetzt sollten wir schlafen gehen. Nur eines noch: Woher stammt der Stein, den die Nama Sehnsuchtsstein nennen? Der, den ich um den Hals trage?«
    »Der junge Nama auf der Farm hatte ihn um. Wie ich schon gesagt habe, ist er ein Teil des ›Feuers der Wüste‹. Wer ihn trägt, steht unter dem besonderen Schutz der Nama-Gottheiten. Er gab ihn mir, und ich gab ihn Eloisa, denn damals kannte ich die Bedeutung des Steines nicht. Zu meiner großen Erleichterung hat sich herausgestellt, dass ich damals richtig gehandelt habe.«
    Ruth stand auf, reichte ihrer Großmutter die Hand, zog sie hoch. Margaret wies auf eine Holzhütte, die etwas abseits stand. »Dort lebe ich, und dort werden wir schlafen.«
    Arm in Arm gingen die Frauen zur Hütte. Unterwegs fiel Ruth noch etwas ein. »Wie haben die Nama reagiert, als sie erfuhren, dass du das ›Feuer der Wüste‹ hast?«
    »Es war nicht einfach. Sie schwankten lange Zeit zwischen zwei Gedanken. Einerseits erschien ich ihnen wie von den Ahnen geschickt, andererseits misstrauten sie mir, weil ich eine Weiße war. Wie kam eine Weiße an den Stein? Der Häuptling – er lebt heute nicht mehr – sprach schließlich das entscheidende Wort. Ich sei von den Ahnen geschickt worden, urteilte er, wollte ich Böses, wäre ich nicht in die Namib gekommen. Ich hätte die Seele der Nama zurückgebracht, und deshalb gebührte mir dieselbe Ehre wie einem Nama-Ahnen.«

Sechzehntes Kapitel
    A ls Ruth am nächsten Morgen erwachte, war sie allein, und doch war sie glücklich. Mit wachen Augen und lächelndem Mund sah sie sich um, erkannte die Felle, erkannte die Hütte. Großmutter, dachte sie, endlich habe ich dich gefunden . Ruth wusste nicht genau, was sie nun tun sollte und wie, doch das war im Augenblick nicht wichtig. Jetzt wird alles gut. Alles wird sich fügen.
    Die Hütte wirkte im ersten Morgenlicht kleiner, als Ruth es im Dunkeln geahnt hatte. Und sie war so einfach eingerichtet, wie sich nur denken ließ: am Boden zwei Lager aus Fellen, an der Wand unter dem Fenster ein alter Holztisch mit einer Schublade, auf ihm ein Kerzenständer mit einer Bienenwachskerze, die auch jetzt einen heimeligen Duft verströmte. Links neben dem Fenster war ein hölzernes Regal mit breiten Brettern angebracht, darin lagen ein paar Kleidungsstücke. Neben einem altmodischen Waschgestell stand ein Stuhl, auf ihm eine Kanne und Seife; in der Nähe hing griffbereit ein Handtuch.
    Sie sah sich um. An der Wand gegenüber hatte Margaret farbige Tücher aufgehängt, und jede freie Fläche war mit Schnitzereien aus Holz und Elfenbein dekoriert. Ruth erkannte Tiere, einen alten Mann, ein Stück Holz, das die Natur wie ein Krokodil geformt hatte. Und dann, fast verdeckt von zwei Büchern, sah sie ein Foto. Neugierig, was es wohl zeigen mochte, sprang Ruth auf. Sie nahm die vergilbte Fotografie in die Hände und betrachtete sie lächelnd: ein Mann mit dunklem, welligem Haar, der ein Baby im Arm hielt. Das Baby schrie, doch der

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