Das Feuer der Wüste
gemeinsame Sache. Ruth hätte sich selbst verfluchen können für das Vertrauen, das sie dem Historiker so leichtfertig entgegengebracht hatte, hätte ihre Gutgläubigkeit, ihre manchmal mehr als freundschaftlichen Gefühle für ihn gerne mit den Füßen in den Wüstensand gestampft, doch dafür war keine Zeit. Mit Horatio würde sie später abrechnen. »Ich fahre sofort los«, sagte sie.
Charly nickte und wandte sich zu den Stammesfrauen. Eine von ihnen trat vor, überreichte Ruth ein Päckchen mit Proviant und einen prall mit Wasser gefüllten ausgehöhlten Kürbis, der mit Steppengras verschlossen war.
»Ich muss Ihnen zeigen, wo Ihr Wagen steht, Miss.« Charly winkte Ruth, ihm zu folgen. »Ich habe ihn gestern ein bisschen versteckt.«
»Du hast was? Meinen Wagen versteckt? Bist du Popeye oder so was?«
Charly sah sie verständnislos an. »Das macht man so in der Wüste«, erklärte er. »Autos sind selten und sehr begehrt. Ich habe den Wagen hinter eine Düne gefahren.«
»Du?«
»Ja, ich.«
»Wie alt bist du eigentlich? Und wo hast du fahren gelernt?«
Der Junge wölbte stolz den Brustkorb heraus. »Ich bin zwölf, und das Autofahren habe ich von dem Mann gelernt, der mich gestern mitgenommen hat. Ich habe einfach zugeschaut, wie er es gemacht hat. Und einmal sind wir in der Wüste liegengeblieben. Er hat das Auto repariert, und ich habe dringesessen und auf seine Anweisung Gas gegeben und so etwas.«
»Aha«, erwiderte Ruth fahrig.
»Nun kommen Sie, ich bringe Sie hin.«
Ruth hatte den Jungen bereits vergessen, noch ehe der in ihrem Rückspiegel verschwunden war. Wie der Teufel preschte sie durch die Namib. Sie fuhr stundenlang, ohne an Essen oder Trinken zu denken. Der Schweiß rann ihr in Strömen den Rücken hinab, stand ihr auf Stirn und Oberlippe, sammelte sich unter ihren Brüsten, doch Ruth achtete nicht darauf. Sand wehte durch die offenen Fenster, knirschte auf dem Lenkrand unter ihren Händen, zwischen ihren Zähnen. Sie wich einer Herde Zebras aus, jagte an Springböcken und Antilopen vorbei, ohne ihnen einen Blick zu schenken.
Nach drei Stunden kochte das Wasser im Kühler, aber Ruth hielt nur kurz an, schüttete das kalte Wasser aus dem hohlen Kürbis hinein, füllte den Tank aus ihren Kanistern auf und preschte weiter.
Der Sand brannte in ihren Augen, trocknete die Lippen aus, doch das bemerkte Ruth nicht. Ein einziger Gedanke trieb sie an: Sie musste ihre Großmutter finden, bevor es zu spät war.
Als sie den Hügel von Lüderitz erkannte, atmete sie auf. Sie stoppte den Dodge vor der ersten Polizeistation und stürmte hinein. »Margaret Salden ist diese Nacht entführt worden!«, schrie sie. »Sie müssen auf der Stelle Suchtrupps losschicken. Hören Sie nicht? Meine Großmutter ist verschwunden!«
Der Polizist hinter der Theke rührte sich nicht. »Nur langsam, Miss, aber dann mit einem Ruck. Überlegen Sie mal in aller Ruhe, wer die alte Dame beerbt, dann wissen Sie auch, wer sie entführt hat.«
Ruth wäre vor Wut beinahe über die Theke gehechtet. »Das ist nicht lustig!«, brüllte sie den Mann an. »Es geht hier um Leben und Tod, begreifen Sie das?«
»Na, dann wollen wir das einmal aufnehmen.« Der Mann setzte sich an die Schreibmaschine, bot auch Ruth einen Platz an und fragte dann ernst: »Name der vermissten Person?«
»Margaret Salden. Das sagte ich doch schon.«
»Salden? Den Namen habe ich schon mal gehört.« Er stand auf, blätterte in einem Aktenordner, nickte schließlich. »Wusste ich es doch. Hier: Salden, Margaret, vermisst seit 1904, wahrscheinlich nach Hamburg ausgereist.« Er wandte sich zu Ruth um. »Sie kommen spät, mein Fräulein. Ihre Großmutter ist bereits seit fünfundfünfzig Jahren verschwunden. Und jetzt sollen wir blitzartig ein Einsatzkommando starten?« Er lachte und drohte ihr scherzhaft mit dem Finger, als wäre sie ein Kind, das Ostern den Weihnachtsmann als vermisst meldet, weil die Geschenke vom Hasen zu klein waren.
»Sie ist erst gestern entführt worden. So glauben Sie mir doch. Mit einem schwarzer Pick-up, mitten in der Namibwüste. Sie hat dort gelebt, war die weiße Frau des Stammes. Sie müssen sie finden, bitte, ihr Leben steht auf dem Spiel.«
Der Polizist sah sie mitleidig an. »Waren Sie gestern zu lange in der Sonne, kleines Fräulein? Oder haben Sie getrunken? Sie können es mir ruhig sagen, es gibt nichts, das ich noch nicht erlebt habe. Vielleicht aus Liebeskummer, was?«
Ruth starrte den Polizisten mit offenem Mund
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