Das Feuer der Wüste
sich her, bis sie den Eingang des Stollens erreicht hatten.
Es war dunkel, denn hier reichte auch der Strahl der Taschenlampe nicht mehr aus, um die Umgebung kenntlich zu machen. Ruth roch die schwere Erde, fühlte die Kühle und Feuchtigkeit.
»Nach links jetzt, aber dalli!«
Ruth stolperte, fiel hin, wurde grob von Kramer auf die Füße gezogen. »Ungeschickter Dorftrottel«, schimpfte er. »Ich hoffe nur, meine Sachen sind jetzt nicht verdreckt. Ich möchte nicht wie ein Schmutzfink zu meinem Rendezvous kommen.«
»Dann solltest du dir vorher noch einmal die Zähne putzen«, presste Ruth hervor und handelte sich dafür eine weitere Maulschelle ein.
Dann weitete sich der Gang, bildete eine Nische. Kurz leuchtete Kramer mit der Taschenlampe die Grotte ab.
Als Ruth ihre Großmutter in einer Ecke entdeckte, atmete sie trotz ihrer misslichen Lage auf. Im selben Moment stieß Kramer sie abrupt in die Ecke, sodass Ruth neben ihrer Großmutter landete. Dann nahm er einen Strick und band ihr mit ihm die Füße so zusammen, dass sie sich kaum rühren konnte.
»Ich wünsche den Damen eine angenehme Nachtruhe«, sagte er hämisch. Dann erlosch das Licht der Taschenlampe, Schritte entfernten sich, und wenig später war Henry Kramer verschwunden.
»Großmutter, wie geht es dir?«
»Es geht mir gut, mein Kind.«
»Gott sei Dank!« Ruth wand sich in ihren Fesseln und drehte sich ein wenig zur Seite. Als sich ihre Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnten, konnte sie die Umrisse Margaret Saldens wenigstens erahnen. »Geht es dir wirklich gut?«
»Es ist ein bisschen kühl hier drinnen, aber ansonsten bin ich in Ordnung.«
Ruth spürte den Atem ihrer Großmutter auf ihrer Wange. »Ich hole uns hier raus, das verspreche ich dir.«
»Nein, Kind. Es ist zu spät. Zumindest für mich. Ich werde ihnen sagen, wo der Stein ist, aber erst, wenn sie dich gehen lassen.«
»Sie werden dich sicher töten, sobald sie den Diamanten haben.«
»Ich weiß das. Sie wollten mich schon vor fünfundfünfzig Jahren töten. Gott hat mir diese Zeit geschenkt. Und ich werde mich seines Geschenkes würdig erweisen, indem ich dein Leben rette.«
»Nein«, flüsterte Ruth. »Nein, das darf nicht sein! Ich habe dich doch gerade erst gefunden. Nein, so grausam kann Gott nicht sein.«
»Gott hat damit nichts zu tun, mein Liebes«, flüsterte ihre Großmutter liebevoll.
Nebeneinander saßen die beiden Frauen auf dem Boden, die Rücken an die Wand gelehnt. Ruth spürte bald, wie ihr die Glieder klamm und später taub wurden. Sie hatte jegliches Gefühl für die Zeit verloren. Ihre Gedanken standen still, und doch hatte Ruth den Eindruck, dass alles in ihrem Kopf sich drehte. Zwanghaft überlegte sie, was sie jetzt tun sollte, doch ihr fiel nichts, aber auch gar nichts ein. Sie saß gefesselt neben ihrer Großmutter in einem verlassenen Stollen, hatte keine Möglichkeit, sich zu befreien. Und so viel sie auch grübelte, es gab wohl nichts, das sie beide retten konnte.
»Wo ist der Stein?«, fragte Ruth.
»Es ist besser, wenn du es nicht weißt, mein Kind.«
»Also hast du ihn noch? Kramer hat wohl deine Hütte durchsucht und nichts gefunden, wenn ich ihn richtig verstanden habe.«
Margaret Salden lachte leise. »Wo er jetzt ist, ist er sicher. Das kannst du mir glauben, mein Kind.«
Ruth versuchte, sich ein wenig aufzurichten, doch die Fesseln saßen zu fest. »Ich bin hier mit dir in einer verlassenen Mine. Vielleicht werden wir beide sterben. Erklär mir doch wenigstens, wofür ich sterben muss. Ich will es wissen, will alles wissen.« Ruths Worte klangen entschlossen. Sie war bereit zu kämpfen, auch wenn der Kampf aussichtslos war. Und er begann damit, da war sich Ruth sicher, dass sie die Wahrheit erfuhr. Die ganze Wahrheit.
»Also gut.« Margaret Salden seufzte. »Es ist wohl zu spät, um dich zu schützen. Ich habe den Stein im Meer versenkt. Auf der Höhe der Halifaxinsel vor Lüderitz. Dort, wo es von Haien nur so wimmelt.«
»Aber dann hast du den Nama die Gottheit genommen, hast ihre Seele den Haien zum Fraß vorgeworfen.« Ruth war fassungslos.
»Nein, Kind, so ist es nicht. Ich habe unter den Nama gelebt. Sie haben ihre Seele nie verloren. Das ›Feuer der Wüste‹ aber hat genug Unheil über sie, über uns alle gebracht. Dein Großvater musste für diesen Stein sterben, meine Tochter ist seinetwegen ohne Mutter und Vater aufgewachsen. Der Stein ist nur ein Stein. Nichts weiter.
Die Seele der Nama wohnt in ihnen selbst, in
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