Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
Vom Netzwerk:
Tränen gekommen wären. Sie wagte kaum, das stinkende Gemisch einzuatmen, meinte die Luft wie Kaugummi kauen zu können. Doch obwohl es stickig und heiß war, fröstelte Ruth. Sie sah an der Fassade der Bank hinauf, betrachtete noch einmal die blanken Fenster, die blinkenden Türgriffe, den Marmorboden. Alles hier war kalt, alles schien ihr zuzurufen: »Eine wie du gehört hier nicht hin!«
    Je länger sie die Bank betrachtete, desto stärker zitterte sie. Es war inzwischen Mittag, und aus dem Bankgebäude kamen Angestellte in blitzsauberen weißen Hemden, mit scharfen Bügelfalten in der Hose und blankgeputzten Schuhen. Die wenigen Frauen unter ihnen waren geschminkt und trugen Kleider, die Ruth nicht einmal zum Farmersball anziehen würde, so weit ausgeschnitten waren sie, so schwingend die Röcke. Alles hier war sauber und kalt und glatt. Sie sah den Menschen in die Gesichter. Die hier sollten über das Schicksal einer Farm entscheiden? Was wussten die denn schon?
    Ein junger Mann stieß gegen Ruth, rempelte gegen ihre Schulter. Doch anstatt sich zu entschuldigen, verzog er nur geringschätzig den Mund und zog die Frau an seinem Arm weiter.
    Ruth sah an sich herab, betrachtete den billigen, knittrigen Stoff ihrer Hose, die Schweißflecken unter ihren Achseln, die deutlich sichtbare Ränder auf die weiße Bluse zeichneten, und ihre derben Schuhe, denen es an jeglichem Schick mangelte. Dann hielt sie es nicht mehr aus. Sie lief los, als wolle sie fliehen, lief, ohne zu wissen, wohin, bog um drei oder vier Ecken – und plötzlich war alles ganz anders.

Viertes Kapitel
    U m Luft ringend blieb Ruth stehen. Sie sah sich um. Irgendetwas war merkwürdig. Die Autos fehlten, das Lachen, die Menschen. Die Straße war wie ausgestorben. Nur zwei junge Schwarze hetzten mit geduckten Köpfen vorbei. Sie hielten sich eng im Schutz der Hauswände.
    »Halt!«, rief Ruth. »Bitte, können Sie mir sagen, wo ich hier bin? Wo geht es zum Bahnhof?« Doch die Männer hörten sie nicht und eilten wortlos weiter.
    Ruth seufzte. Wo um alles in der Welt war sie hier gelandet? Die Straße war schmutzig. Im Rinnstein lagen Papierfetzen. Ein Papierkorb war umgefallen und hatte seinen Inhalt über den Asphalt verteilt. Der Wind wirbelte eine alte Zeitung über den Gehweg.
    Erst jetzt hörte Ruth den Lärm. Er kam von der linken Seite der Straße, schwoll wie bei einem Fußballspiel an und wieder ab. Ruth konnte Sprechchöre unterscheiden, einzelne Stimmen und das Geräusch von Pferdehufen auf Pflastersteinen. Ohne nachzudenken, lief sie in Richtung des Tumults. Wo der Lärm herkam, gab es sicherlich auch Menschen, gute Menschen, die sie verstanden.
    An der nächsten großen Querstraße stoppte sie. Vor sich sah sie eine Unmenge schwarzer Männer und Frauen. Sie trugen Plakate, auf denen in Englisch geschrieben stand: »Lasst uns zu Hause«, oder: »Kein Ghetto für Schwarze«. Die Frauen, so schien es Ruth, hatten ihre prächtigsten Gewänder angelegt, dazu den Schmuck und die Kopfbedeckung ihres Stammes. Die Männer hingegen trugen blaue oder graue Arbeitshosen und einfache T-Shirts. Doch die Wut in ihren Gesichtern einte sie. Wut, die man riechen, hören und sehen konnte.
    »Wir sind auch Menschen. Menschen wir ihr!«, schrie eine junge Frau und hielt ihr kleines Kind hoch.
    Polizisten zu Pferde hatten die Menge umringt. Mithilfe der Pferde und ihrer Schlagstöcke versuchten sie, die Protestierenden in eine Seitenstraße abzudrängen. Pferdeleiber drückten gegen Menschen. Ein Junge schrie auf, als eines der Tiere nach ihm ausschlug.
    »Worum geht es hier?«, fragte Ruth. Ehe sie sich versah, befand sie sich bereits mitten im Zug.
    »Darum, dass die weiße Stadtverwaltung uns aus unseren Häusern treiben will. Die da oben haben ein Ghetto für uns errichtet, und heute sollen wir zwangsumgesiedelt werden.« Ein junger Schwarzer mit dicker Brille hatte sich Ruths Frage angenommen, wandte den Blick aber nicht von den Polizisten.
    Es stimmt also, was mir der Südafrikaner im Taxi erzählt hat , dachte Ruth.
    »Komm, Weiße! Schließ dich uns an! Erst wenn ihr uns helft, unsere Rechte einzuklagen, werden wir gewinnen. Und wenn wir gewinnen, gewinnt auch ihr.« Die Frau, die das gesagt hatte, war nicht mehr jung. Sie erinnerte Ruth von Aussehen, Körperumfang und Kleidung an Mama Elo und Mama Isa. Und schon hakte sich Ruth bei ihr unter, schon ging sie inmitten der Schwarzen, reckte wie sie die Faust, brüllte an gegen die Ungerechtigkeit, die

Weitere Kostenlose Bücher