Das Feuer der Wüste
Straßen und bog schließlich in eine schmale Seitengasse ab, die nur aus Lehm bestand. Die Pfützen vom nächtlichen Regen waren auch jetzt noch knöcheltief, die Hauswände vor den kahlen Vorgärten trotz der Sonne noch immer feucht. Ein feiner Dampf lag über der Gasse.
Vor einem flachen Steinbau blieb Horatio stehen. »Hier ist es.«
Ruth sah sich um. Das Haus war nicht weniger alt als die anderen, aber sauber verputzt und sehr gepflegt. Im Vorgarten blühte ein Oleanderstrauch, die weit geöffneten Fenster hatten blank polierte Scheiben, hinter denen bunte Vorhänge wehten. Auf der Veranda standen einfache Korbstühle, die mit selbst genähten Kissen bedeckt waren.
»Warum wirkt dieses Haus so viel freundlicher als die Nachbarhäuser?«, fragte Ruth.
Horatio zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht einfach, Kultur zu bewahren, wenn man arm und rechtlos ist. So wie die Weißen, denen man immer eingetrichtert hat, sie seien etwas Besseres, dies nun selbst glauben, so glauben viele Schwarze, dass sie nichts wert sind. Noch nicht einmal so viel, dass es sich lohnt, Blumen auf die Veranda zu stellen.«
»Die tote Frau war anders? Wie hieß sie eigentlich genau? Was für ein Mensch war sie? Erzählen Sie mir doch ein wenig von ihr!«
Horatio zuckte mit den Schultern. »Viel weiß ich nicht. Sie hieß Davida Oshoha. Ihr Mann wurde vor drei Jahren bei Unruhen von Weißen ermordet. Vorher war sie wie ihre Nachbarn. Aber nach dem Tod ihres Mannes hat sie sich verändert. Sie war auf einmal viel stolzer – als hätte der Tod, der sinnlose Tod ihres Mannes, ihr die Würde wiedergegeben …«
»Irgendwoher hat sie meine Großmutter gekannt.«
»Man meint oft, etwas zu hören, das man gern hören möchte.« Horatio nickte. »Gerade in die letzten Worte von Sterbenden wird unheimlich viel hineininterpretiert. So, als hätte ein Mensch im Augenblick seines Todes alles Wissen dieser Welt und nur einen Lidschlag lang Zeit, dieses Wissen an die Lebenden weiterzugeben.«
»Mag sein, dass Sie so etwas glauben. Ich nicht. Ich weiß, was ich gehört habe: den Namen meiner Großmutter.« Ruth war sich bewusst, dass aus ihrer Stimme Trotz herausklang. Sie war es einfach nicht gewohnt, dass ihre Worte angezweifelt wurden, denn auf Salden’s Hill wurden ihre Aufträge ohne Widerworte ausgeführt. Einzig Santo äußerte hin und wieder einmal Bedenken, und dies niemals ohne einen guten Grund.
Ruth folgte Horatio ins Haus und erkannte sofort manche Gesichter von der Demonstration wieder. Einige Frauen saßen um die Aufgebahrte herum und weinten. Andere reichten den Gästen eilig herbeigeholte Erfrischungen und kleine Feigenkuchen. Ruth setzte sich auf eine Bank unter dem Fenster und betrachtete die Tote und die anderen Trauergäste. In ihr war nichts als Leere, eine graue, träge Masse, die sie ganz ausfüllte. Manchmal stimmte jemand einen traurigen Gesang an, eine laut aufschluchzende Frau wurde von einem Mann behutsam weggeführt.
Lange saß Ruth einfach so da, beobachtete den traurigen Frieden dieses Hauses, das wortlose Mitfühlen und Mitleiden. Als Horatio sie sanft an der Schulter berührte, dämmerte es bereits. »Soll ich Sie zurück in die Stadt bringen? Es ist nicht gut für eine Weiße, allein durch dieses Viertel zu laufen. Sie haben sicher ein Hotelzimmer in der Nähe des Bahnhofs gebucht, nicht wahr?«
Ruth schüttelte den Kopf. »Ich wollte längst wieder zu Hause auf Salden’s Hill sein«, sagte sie. »Ich habe kein Zimmer.« Leiser fügte sie hinzu: »Und Geld für ein Hotel habe ich ohnehin nicht.«
»Kommen Sie«, beharrte der Schwarze dennoch. »Die Angehörigen wollen jetzt unter sich sein.«
Schweigend schlenderte Ruth an Horatios Seite durch das Schwarzenviertel.
»Wo wollen Sie jetzt hin?«, fragte der Historiker.
Ruth hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich muss über das, was ich heute erlebt habe, nachdenken. Und ich muss herausbekommen, woher Davida meine Großmutter kannte, was sie über sie wusste.« Sie seufzte. Die Farm stand auf dem Spiel, wichtige Entscheidungen mussten getroffen werden, und doch konnte sie an nichts anderes denken als an die Geschichte dieser toten schwarzen Frau und das, was sie über ihre Großmutter gesagt hatte. Aber irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sich auch alle anderen Probleme in Wohlgefallen auflösen würden, wenn sie nur dieses Rätsel lösen könnte. »Auf der Beerdigung morgen, kommt da die ganze Familie?«, fragte sie Horatio.
Der schüttelte den
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