Das Feuer der Wüste
letzten Worte äußerst unpassend erschienen.
»Oh, er meint wohl, dass sie sich als Schwarze zu viel herausgenommen hat. Gleich wird er sicherlich auch von Demut sprechen.« Obwohl Horatio ein feines Lächeln auf den Lippen hatte, klang seine Stimme bitter und wütend.
Ruth runzelte die Stirn. Horatio tat, als hätte er schon unzähligen Beerdigungen beigewohnt. Aber er hatte recht: Der Pfarrer sprach über Demut, über das Dienen und darüber, dass jeder Mensch von Gott einen Platz zugewiesen bekommen und nicht das Recht hatte, diesen zu verlassen.
Und wo ist mein Platz?, fragte sich Ruth. Bisher war ich sicher, dass er auf Salden’s Hill ist. Und jetzt? Wo gehöre ich eigentlich noch hin? Als der Sarg in die Erde hinabgelassen worden war und sich die Gruppe der Trauernden langsam auflöste, stieß Ruth Horatio in die Seite. »Wer hier könnte noch etwas über meine Großmutter wissen?«
Horatio zuckte mit den Schultern, wies dann aber auf einen alten Mann. »Er vielleicht. Er ist alt, hat viel gesehen. Wenn jemand etwas weiß, dann er.«
»Gut, dann versuche ich es bei ihm«, sagte Ruth und ging zu dem Alten hinüber. »Entschuldigen Sie«, sprach sie ihn auf Afrikaans an. »Darf ich Sie etwas fragen? Haben Sie Davida gut gekannt?«
»Seit ihrer Kindheit«, bestätigte er.
»Und Margaret Salden? Kannten Sie auch diesen Namen?«
Hatte er sich Ruth bisher freundlich zugewandt, wich der Mann auf einmal zurück, als hätte Ruth den Teufel beschworen. Sein Blick flackerte. »Nein, Miss«, erklärte er auf Englisch. »Diesen Namen habe ich noch nie gehört.«
»Wenn Sie Davida seit Ihrer Kindheit kennen, dann kommen Sie aus dem mittleren Südwesten. Sie müssen von meinen Großeltern gehört haben«, beharrte Ruth.
Der Mann schüttelte energisch den Kopf, trat zwei Schritte zurück, wirkte auf einmal panisch. »Nichts weiß ich, gar nichts! Und gesehen habe ich auch nichts – nichts gesehen, nichts gehört und nichts gesagt.«
Ruth senkte den Kopf. »Warum will mir bloß niemand verraten, was er weiß?«, fragte sie leise mehr sich selbst als den Alten. »Wie kann ein Mensch denn ohne Vergangenheit leben?«
Da trat der Alte dicht zu ihr. »Nicht jede Vergangenheit ist es wert, gekannt zu werden«, sagte er ruhig. »Es ist viel zu viel Blut geflossen. Ihre Großmutter war eine gute Frau. Das zumindest glaubte Davida. Sie hat es 1904 geglaubt, und sie hat diesen Glauben nie verloren.«
Mit diesen Worten drehte er sich um und verschwand in der Menge.
Verwirrt sah Ruth zu Horatio. »Was war denn 1904?«, fragte sie. »Was ist da vorgefallen?«
»Der Nama- und Hereroaufstand. Aber das wissen Sie ja schon. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Ihre Großeltern etwas damit zu tun haben. Fahren Sie nach Hause, Ruth. Vergessen Sie die Geschichte. Züchten Sie weiter Ihre Schafe, und werden Sie glücklich dabei.«
Plötzlich begann Ruth zu weinen. Es kam über sie wie ein Schauer in der Regenzeit. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so herzzerreißend geweint hatte, doch nun strömten die Tränen, ihre Schultern bebten, und ihre Lider schwollen an.
Hilflos stand Horatio neben ihr, tätschelte ihr ungeschickt die Schulter. »Kommen Sie, ich bringe Sie zum Bahnhof. Sie brauchen jetzt Ruhe.«
»Ich brauche keine Ruhe. Ich muss wissen, was passiert ist.« Ruth sah ihn an, und in diesem Blick lag ihr ganzes Elend. »Sie sind doch Historiker, Sie wissen doch, wie man etwas über die Vergangenheit herausfinden kann. Helfen Sie mir, ich bitte Sie.«
Horatio seufzte, wand sich. »Ich weiß nicht, wie ich Ihnen helfen soll. Mein Spezialgebiet ist die Geschichte der Nama. Vom Leben der Weißen in Südwest habe ich keine Ahnung.«
»Bitte! Ich werde die Farm wahrscheinlich verlieren. Doch bevor es dazu kommt, möchte ich alles darüber wissen. Verstehen Sie? Die Farm ist mein Leben. Sie ist meine Vergangenheit, und bis gestern glaubte ich noch, dass sie auch meine Zukunft ist.«
Der zweite Seufzer Horatios war noch tiefer als der erste. »Die AZ, die Allgemeine Zeitung , die in deutscher Sprache erscheint … Bei meinen Recherchen zum Hereroaufstand bin ich im Archiv der Zeitung auf einige interessante Artikel gestoßen, die mit den Deutschen in Südwest zu tun hatten. Wissen Sie, wann genau Ihre Großeltern verschwunden sind?«
»Ich kenne die AZ«, sagte Ruth eifrig. »Die meisten deutschen Farmer lesen sie, auch meine Mutter. Wo müssen wir also hin?« Sie unterbrach sich, um sich einen Augenblick zu
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