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Das Feuer der Wüste

Titel: Das Feuer der Wüste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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Kopf. »Ihre Eltern leben nicht mehr. Die Brüder und Schwestern sind alt, sie werden ebenfalls nicht kommen können. Und auch die beiden Söhne werden nicht da sein. Sie arbeiten im Diamantensperrgebiet bei Lüderitz und werden nicht rechtzeitig die Genehmigung bekommen, das Gebiet zu verlassen. Davida wird in Windhoek bestattet werden, wofür die SWAPO die Kosten übernimmt. Und am Wochenende wird es in Davidas Heimatdorf eine Abschiedsfeier geben.«
    »Die SWAPO ? Wer ist das?«
    Horatio schüttelte den Kopf. »Was wissen Sie überhaupt von der Welt? Gibt es keine Zeitungen oder Radio auf Ihrer Farm?«
    »Es gibt vor allem viel Arbeit«, erwiderte Ruth harsch. »Bei uns im Busch hat niemand Zeit für Müßiggang.«
    Der Schwarze blieb stehen. »Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht kränken. Die Abkürzung SWAPO steht für South-West Africa People’s Organisation . Sie tritt für die Rechte der Schwarzen ein. Noch gibt es diese Organisation nur im Untergrund, doch schon bald wird sie offiziell auftreten und sich für die Bedürfnisse und Anliegen aller Schwarzen von ganz Afrika einsetzen. Ihr Ziel ist es, die eingeborenen Völker zu einen. Ein gerechter Staat mit gleichen Rechten für alle, dafür steht die SWAPO .«
    »Und Sie gehören dazu?«
    Der Historiker lächelte. »Ich arbeite derzeit für den Staat. Da kann ich es mir wohl kaum leisten, in einer Organisation wie der SWAPO , die von der südafrikanischen Geheimpolizei bekämpft wird, Mitglied zu sein.«
    Inzwischen waren sie wieder im Stadtzentrum angelangt. »Nun, was machen wir jetzt mit Ihnen?«, fragte Horatio.
    Ruth sah sich unschlüssig um.
    »Ich nehme Sie mit, wenn Sie wollen«, bot Horatio an. »Sie können heute im Studentenwohnheim übernachten. Ich kenne da jemanden, der mir noch einen Gefallen schuldet. Und wenn Sie dann noch immer wollen, können wir uns morgen um acht Uhr zum Frühstück treffen.«
    »Und Sie? Wo schlafen Sie? Auch im Studentenheim?«
    Horatio lächelte schief. »Ich bin schwarz. Haben Sie das vergessen? Ich gehe dahin, wo ich hingehöre: ins Schwarzenviertel.«
    Ruth schlief schlecht in dieser Nacht. Die Geräusche der Stadt ließen auch jetzt kaum nach, sodass Ruth keine Ruhe fand. Überall brummte und summte es; statt spätem Vogelgezwitscher hörte sie die Signale von Polizei und Rettungswagen, statt des vertrauten Knackens des Holzes im Haus das Gegröle Betrunkener.
    Sie hatte an diesem Tag viel erlebt, so viel wie in einem Jahr auf der Farm. Der Kredit war nicht verlängert worden, eine Frau war in ihren Armen gestorben. Und dann der Name ihrer Großmutter …
    Angestrengt überlegte Ruth, was sie über ihre Familie überhaupt wusste. Viel war es nicht. Sie wusste, dass Rose von ihren Eltern auf der Farm zurückgelassen worden war. Und sie wusste, dass damals Mama Elo mit ihrem Mann Gabriel, einem Farmarbeiter, in einer der Pontokhütten auf dem Gelände von Salden’s Hill gelebt hatte. Als sie zwei Jahre nach der Hochzeit noch immer kein Kind zur Welt gebracht hatte, hatte sich Gabriel eine Nebenfrau genommen, die in der Hütte nebenan wohnte. Die Nebenfrau hieß – wie Mama Elo eigentlich auch – Eloisa, und um Verwechslungen zu vermeiden, nannte Gabriel bald die eine Elo und die andere Isa.
    Dann war auf der Farm etwas geschehen. Was genau, hatte Ruth nie erfahren, aber es musste etwas mit dem großen Hereroaufstand von 1904 zu tun gehabt haben. Es war ein Familiengeheimnis, über das niemand sprach. Sicher war nur, dass ihre Großmutter die Farm verlassen und ihre Tochter Rose in der Obhut von Mama Elo zurückgelassen hatte. Die hatte sich des kleinen weißen Mädchens angenommen und es liebevoll aufgezogen, und später beteiligte sich auch die ebenfalls kinderlose Mama Isa an Roses Erziehung. Die beiden schwarzen Frauen sorgten dafür, dass das Mädchen die Traditionen der Weißen leben konnte, und schmückten zu Weihnachten sogar einen Baum. Statt Sternen und Schneekristallen hingen auf Salden’s Hill zwar getrocknete, bemalte Feigen und bemalte kleine Kürbisse sowie selbst genähte Stoffpüppchen am Baum, der auch nicht aus einem Nadelwald stammte, sondern den Duft von Eukalyptus verströmte, aber davon abgesehen bemühten sich Mama Elo und Mama Isa, das Kind so zu erziehen, wie es sich für ein weißes Mädchen gehörte. Sie erzogen sie zu einer weißen Prinzessin.
    Als Gabriel starb, zogen die Frauen gemeinsam in den Seitenflügel des Herrenhauses, um Rose Tag und Nacht nahe zu sein. Später gaben sie

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